Der folgende Artikel wurde ursprünglich im Oktoberrundbrief 2009 der Katholiken für Israel veröffentlicht.
Warum glauben (die meisten) Juden nicht an Jesus?
Nach sieben Monaten in Rom, Steubenville (Ohio), und meinem Heimatland Canada bin ich jetzt wieder nach Jerusalem zurückgekehrt. Während der Zeit in der ich im Ausland war, hatte ich Gelegenheit zu vielen Gesprächen mit katholischen Freunden über Israel. Den meisten Katholiken erscheint es unglaublich, daß die meisten Juden es einfach "nicht kapieren", daß der Messias schon gekommen ist. Immerhin sind sie das auserwählte Volk des Bundes, von Gott dazu auserwählt, seine Zeugen in der Welt zu sein, und sie haben nicht mitbekommen, daß der Messias schon vor 2000 Jahren gekommen ist. Das ist eine erstaunliche Tatsache. Auf der anderen Seite passiert es mir häufig, daß jüdische Freunde mir aufrichtig ihre Entrüstung zum Ausdruck bringen, warum jemand mit einem klaren Verstand an das Christentum glauben kann. Dies zeigt, daß im Hinblick auf das gegenseitige Verständnis auch in der Zeit der unmittelbaren Datenübertragung und der Internetgesellschaft noch ein tiefer Abgrund zwischen Juden und Christen liegt.
Neulich, im Flugzeug nach Tel Aviv saß ich neben einem orthodoxen Juden. Wir waren noch nicht einmal losgeflogen, als er, nachdem er gehört hatte, was ich mache, sagte: "der größte Fehler, den die Christen jemals gemacht haben, war es, die Vorstellung von der Dreifaltigkeit zu entwickeln." Dies hat seiner Meinung nach für immer die Möglichkeit, daß Christen und Juden zueinanderfinden verhindert, denn "Juden glauben an die absolute Einheit Gottes, nich an einen Gott, der 'in drei Teile geteilt ist.'" Es half ihm wenig, als ich versuchte ihm klarzumachen, daß auch wir Christen an die Einheit Gottes glauben, und daß wir ganzherzig das "Schmah Israel" zusammen mit den Juden beten können, und daß die Dreifaltigkeit nicht bedeute, daß Gott tatsächlich "in drei Teile geteilt ist." Auch versuchte ich zu erklären, daß nicht die Christen "diese Idee entwickelt hätten", sondern daß wir glauben, Gott selber hätte sie offenbart, und daß es viele Spuren der Dreifaltigkeit Gottes in der Hebräischen Schrift der jüdischen Tradition zu finden gäbe. Ich bin nicht sicher, was für einen Effekt dies an ihm hatte, aber dieses Gespräch machte mir klar, daß ich in eine ganz andere Welt zurückkehrte, als die kirchlichen Kreise Roms.
Auf dem Website der Katholiken für Israel bieten wir viele Artikel und Materialien (die hauptsächlich an unsere jüdischen Freunde gerichtet sind) an und die zeigen, daß die Wurzel des katholischen Glaubens in den hebräischen Schriften und der jüdischen Tradition liegt. Zum Beispiel: Die Gründe, warum wir glauben, daß Jesus der Messias Israels ist, wie der eine Gott sich als eine Gemeinschaft dreier Personen offenbart hat, und wie der Messias eine Kirche gründete, die einig, heilig, katholisch und apostolisch ist.
Die hier vorliegende Darstellung ist dagegen an die Christen gerichtet, die die Gründe für die jüdische Ablehnung Jesu und der Kirche besser verstehen wollen und diese Frage von der "anderen Seite" beleuchtet haben wollen. Um diese Frage tiefer zu untersuchen, können Sie eine kurze Pause machen und selbst eine Liste der Gründe anfertigen, die die Juden davon abhalten könnten, an das Evangelium zu glauben. Meine eigene subjektive Liste beruht auf meinen Erfahrungen aus dem täglichen Leben in Israel und in zahllosen Glaubensgesprächen, die ich mit jüdischen Freunden, Bekannten und Fremden, von israelische Studenten bis zu meinen jüdisch orthodoxen Nachbarn gesammelt habe. Ich bestehe nicht darauf, daß dies eine vollständige Erfassung aller Gründe ist und nehme gerne Ihre Gedanken, Vorschläge und Korrektionen an.
Vorab eine wichtige Differenzierung: Ich glaube, man kan die Gründe für die Ablehnung der Juden von Jesus in drei weite Kategorien einteilen. Zwei davon gehören zum größten Teil oder gänzlich in den Bereich göttlicher Providenz und befinden sich ausserhalb unserer Kontrolle (als Christen). Diese liegen also außerhalb meiner Kompetenz und ich werde nur wenig darüber sagen. Die dritte Kategorie besteht aus leichter erfaßbaren Gründen, auf welche auch Christen einen Einfluß haben können.
Die drei Kategorien sind:
- Das Geheimnis von Gottes Heilsplan und der Vorsehung
- Die Blindheit Israels und das Geheimnis der Inequität
- Geschichtliche, kulturelle und theologische Gründe
1. Das Geheimnis von Gottes Heilsplan und der Vorsehung
Durch das Geheimnis der göttlichenVorsehung wurde die Ablehnung Israels des Messias zur Gelegenheit für die Erlösung der Nationen der Welt. Als die Mehrheit des auserwählten Volkes den Messiasanspruch Jesu ablehnte, bewegte dies die Apostel dazu, sich den Heiden zuzuwenden und das Evangelium den Nicht-Juden zu verkünden, so wie es vom Propheten Hosea vorhergesagt wurde: "Da sagte der Herr: Gib ihm den Namen Lo-Ammi (Nicht mein Volk)!, so werden sie "Söhne des lebendigen Gottes genannt" (Hos. 1:10; Röm. 9:26). Es war genau "durch Ihre Vergehen", daß die Rettung zu den Heiden kam, "um Israel eifersüchtig zu machen" (Röm. 11:11). Dies war aber keine gänzliche Ablehnung Israels durch Gott (siehe Röm. 11:1-2), sondern ein Beiseitestellen für begrenzte Zeit, welches einem bestimmten Ziel diente und eines Tages aufgehoben werden wird: Denn "Verstockung liegt auf einem Teil Israels, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben; dann wird ganz Israel gerettet werden" (Rom 11:25-26; siehe. KKK 674). Das Versagen der Juden das Evangelium anzuerkennen wurde zum Segen für die Welt, und ihre Anerkennung wird ein um so größerer, globaler Segen sein: "Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Heiden reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt." (Röm. 11:12)
2. Die Blindheit Israels und das Geheimnis der Inequität
Dennoch hat Jesus über die Ablehnung, die er von Jerusalem erfuhr, geweint (Lk. 13:34; 19:41) und auch Paulus klagte hierüber (Röm. 9:1-3). Deswegen kann man nicht sagen, daß es Gottes entschiedener Wille gewesen sei, daß die Juden Jesus abgelehnt haben. Dies bleibt eine Tragödie und eine Leugnung des Heilsplans Gottes für sein Volk. Es war bloß sein Zulassen - welches er durch seine Vorsehung in einen Segen für die Welt wandelte. Dennoch, die Ablehung der Juden von Jesus war und bleibt eine tragische Leugnung von Gottes Heilplan für sein Volk. Wir können weder Gottes geheimnisvollen Heilplan (Punkt 1 oben) noch äußere Umstände (Punkt 2 oben) allein dafür verantwortlich machen, ihre Ablehnung des Evangeliums zu gerechtfertigen. Es gibt da auch noch die Ebene der persönlichen Verantwortung und der Sünde. Unter dem Schleier jedes Grundes und jeder Ausrede um die Ablehung des Messias zu gerechtfertigen, sind es ohne Zweifel dunkele Gründe im menschlichen Herzen, die der gefallenen Natur des Menschen und in tiefverwurzeltem Stolz und Rebellion gegen Gott liegen, welche die Menschheit seit der Vertreibung aus dem Garten Eden begleiten.
Aber Christen sollten vorsichtig mit diesem Punkt umgehen. Die Geschichte jüdisch-christlicher Beziehungen ist belastet durch die Erinnerung an Christen, welche ihren Finger auf die Juden richteten, sie der Widerspenstigkeit und Starrhalsigkeit anklagen und sie anklagen, den Messias abgelehnt zu haben. Als Christen, sind wir herausgefordert vom Urteilen abzulassen und zuerst auf den Balken in unserem eigenen Auge zu schauen, befor wir den Flecken in dem Auge des Juden hervorheben. Die geheimen, dunkelen Gründe für die Ablehnung des Messias durch die Juden ist etwas, was, auch wenn sie gewiß existieren, sie selbst in ihrem eigenen Gewissen verdauen müssen. Es ist eine Angelegenheit zwischen ihnen und Gott. Die Berufung des Christen ist es nicht zu verurteilen, sondern zu lieben und durch das Zeugnis ihres Lebens das Evangelium aufleuchten zu lassen und dadurch die Juden zur "Eifersucht" zu bringen und in ihnen den Wunsch zu wecken, die Güte des Reiches Gottes zu kosten (auch wenn sicherlich eine effektives Zeugnis des Evangeliums auch bedeuten kann, daß man vorsichtig auf die Realität menschlicher Sünde und die Notwendigkeit des Erlösers aufmerksam macht.)
3. Geschichtliche, kulturelle und theologische Gründe
Über den Aspekt Gottes mysteriösen Plans und dem Widerstand der menschlichen Sünde, gibt es auch sehr konkrete Gründe, die in der Vergangenheit die Ablehnung der Juden des Messias bewirkt haben. Hier eine Liste der Hauptgründe, die mir in den Sinn gekommen sind. Sicher gibt es Tausende von Gründen für jede Person warum sie kein Jünger Jesu sind, wie zum Bespiel Ignoranz über die Botschaft des Evangelium, kulturelle Barrieren, schlechte Erfahrungen mit Christen, Unfähigkeit zu glauben aufgrund des Zeitgeists, oder Ablehnung des hohen etischen Standards des Evangeliums aufgrund von Stolz und Selbstsucht. Auch wenn ich diese Faktoren nicht unterschätze, werde ich mich hier auf Gründe die in besonderem Maße die Juden betreffen beschränken.
1) Die Geschichte christlichen Antisemitismus
Juden wurden durch Jahrhunderte andauernden, christlichen Antisemitismus tief verletzt und haben dadurch eine "dicke Haut" bekommen und einen natürlichen Widerwillen gegen alles, was mit dem Christentum zu tun hat. Die meisten Juden kennen das Christentum als die Religion der Kreuzzüge, der Inquisition, der Diskriminierung und der Erniedrigung, der Zwangspredigten und der Zwangstaufen, Vertreibungen, Pogrome und sogar des Holocaust. Auch wenn dieses Bild der Geschichte nicht immer fair und ausgeglichen ist (wie zum Beispiel das Verantwortlichmachen des Christentums für den Holocaust), so zeigt doch auch eine unvoreingenommene Untersuchung der Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen, daß viel Wahrheit dahinter steckt. Glücklicherweise hat sich diese Situation heute enorm geändert - aber das bedeutet trotzdem nicht notwendiger Weise, daß alle Wunden der Vergangenheit schon geheilt sind, oder daß man keine Ausdrücke der Arroganz seitens der Christen über die Juden zu hören kriegt.
2) Ersatztheologie (Superzessionismus)
Durch die Geschichte hinweg haben die Christen oft gelehrt, daß Gott die Juden abgelehnt hat und Israel durch die Kirche ersetzt hat, weil sie Jesus abgelehnt haben. Diese Vorstellung ist häufig die theologische Grundlage für christlichen Antisemitismus. Da aber das alte Testament klar zeigt, daß die Auserwählung Israels und die anhaltende Bundesliebe für Israel permanent und unwiderruflich ist, kann man verstehen, warum Juden ein Christentum mißbilligen, das behauptet, Gott hätte sich von seiner ursprünglichen Braut getrennt. Glücklicher Weise lehnen die katholische Kirche und viele andere christliche Gruppen die Ersatztheologie offiziell ab, dennoch ist dies nicht immer an die Einzelpersonen vorgedrungen und so glauben viel Christen und viele Katholken noch heute, daß die Kirche die Bestimmung Israels in Gottes Heilsplan eingenommen hat. (Mehr hierzu unter Was ist Ersatztheologie?)
3) Eine reiches kulturelles jüdisches Erbe und die Unterdrückung der jüdischen Identität innerhalb der Kirche
Das Judentum ist, in seinen Gebeten, Festen, Traditionen und Bräuchen eine sehr reiche und schöne Religion. Die meisten Juden, religiös oder nicht, sehen es als die Quelle ihrer Identität. Auch wenn der katholische Glauben fest im Judentum wurzelt, so hat er doch viele Ausdrucksformen und Bräuche angenommen, die ihn sehr "nicht-jüdisch" erscheinen lassen. [Dasselbe kann man über das evangelische Christentum sagen: Auch wenn manche evangelikale Gruppen heute versuchen, mehr jüdische Elemente in ihren Gottesdienst hineinzubringen, so ist doch ihre Theologie noch weiter vom Judentum entfernt als die des Katholizismus (mehr dazu hier).] An der "nicht-jüdischen" Ausdrucksform des katholischen Glaubens ist nichts falsch, denn es ist Teil der Inkulturation des Glaubens - dem Anpassen des Christentums an die verschiedenen Kulturen der Welt. Aber viele Juden befremdet es, wenn sie in eine Kirche gehen und dort Statuen, Heiligenfiguren, Ikonen, Priestergewänder, Mönchshabite oder die sonnenförmige Monstranz sehen.
Die Lage ist schon viel schlimmer gewesen. In der Vergangenheit haben Christen bewußt versucht, jeglichen Ausdruck jüdischer Identität in der Kirche zu unterdrücken. (Einige sprechen sich heute noch dafür aus, siehe Eine Antwort auf Robert Sungenis). Juden, die konvertierten sind zeitweise gezwungen worden, Schweinefleisch zu essen und am Sabbat zu arbeiten, und es wurde ihnen verboten, die jüdischen Feste zu feiern. Da aber diese Säulen des jüdischen Glaubens und der jüdischen Identität ihnen von Gott selbst als verbindliche Gebote gegeben worden waren, ist es kein Wunder, daß die Juden die Ansprüche einer Religion nicht akzeptieren konnten und es auch heute nicht können, welche diese Gebote für sie aufgehoben hat. Heute sind die Kirche und viele Christen viel respektvoller gegenüber dieser jüdischen Bräuche und haben erkannt, daß diese keine Behinderung oder Konkurenz sondern im Gegenteil, eine Bereicherung des christlichen Glauben bedeuten. Dennoch bleibt es schwierig für jüdische Katholiken, ihr jüdisches Erbe und ihre Kultur innerhalb der Kirche zu leben und zum Ausdruck zu bringen. Es ist eine Herausforderung heutzutage, neue Wege zu entwickeln, um die Wiederentdeckung und Wiederbelebung jüdischen Ausdrucksweise in der Kirche zu ermöglichen, insbesondere an Orten und in Gemeinschaften, wo es jüdische Christen gibt.
4) Christen haben eine negative Einstellung gegenüber der Thora
Ähnlich wie beim letzten Absatz, so gibt es immernoch viele Christen, die das Gesetz gegen das Evangelium auspielen, als sei die Thora nichts als ein schweres, legalistisches Joch, von dem Christus uns erlöst hat. Im Grunde sehen die orthodoxen Juden die Thora als ein Weg der Gottesverehrung und für sie ist ihre Befolgung eine Quelle großer Freude. Auch Paulus, der oft fälschlicher Weise als Gegner des Gesetzes dargestellt wird, erinnert uns, daß das "Gesetz heilig und die Gebote heilig, gerecht und gut sind" ( Röm. 7:12). Es ist wahr, es gibt immer die Gefahr dem Pharisäertum zu verfallen, und seine Aufmerksamkeit auf Kosten von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit an Kleinigkeiten zu verschwenden, aber diese Gefahr kann in allen Religionen vorkommen, (auch im Katholizismus und allen Formen des Christentums) und nicht nur im Judentum. Nur zu leicht vergessen die Christen, daß Jesus nicht gekommen ist um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen. (Mt. 5:17). In der Praxis bedeutet dies, daß man den Heidenchristen nicht die Befolgung der Thora aufbürden soll. Aber es bedeutet auch, daß jüdische Christen nicht dazu gezwungen werden sollten, Praktiken, wie die Befolgung des Sabbats oder das Feiern des Paschafestes oder die koschere Ernähung aufzugeben. (siehe. Apg. 15, Torah und Evangellium, and Eine Antwort auf Robert Sungenis). Die Worte des jüdischen Schriftstellers David Klinghoffer sind eine Herausforderung für die Kirche von heute:
“Kein authentischer Messias würde eine Religion inspirieren, die darauf aus ist von den Juden zu fordern, die grundlegende Bedeutung des Sinai abzulehnen. Es ist ganz einfach." (David Klinghoffer, Why the Jews Rejected Jesus, p. 215)
5) Mangel an Buße für die Sünden der Vergangenheit seitens der Christen
Die meisten Christen sind sich durch kein eigenes Verschulden der Geschichte des christlichen Antisemitismus oder dem Fehler der Ersatztheologie und der Unterdrückung der jüdischen Identität in der Kirche zum größten Teil nicht bewußt. Auch wenn sich die Situation schon sehr verbessert hat, so haben die meisten Juden nie eine herzergreifende Entschuldigung von Seite eines Christen für die schwierige Vergangenheit der jüdisch-christlichen Beziehungen gehört. Glücklicher Weise ändert sich dies langsam, weil mehr und mehr Christen daran arbeiten, daß diese Wunden heilen und Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen, indem sie Identifikationsbuße tun.(d.h. Buße tun für die Schuld der Väter, auch wenn sie nicht persönlich Schuld daran tragen). Nach meiner Erfahrung ist diese demütige Haltung seitens der Christen der fruchtbarste Katalysator für das Vorwärtskommen des jüdisch-christlichen Dialogs gewesen.
6) Sozialer Druck und Angst
Viele Juden die zum Glauben an Jesus kommen müssen sich unglaubliche Schwierigkeien, Ausschließung und manchmal sogar Verfolgung von ihren eigenen jüdischen Familien und Gemeinschaften stellen. Ohne Zweifel wirkt dies sehr abschreckend, verunsichert viele Juden und bringt sie davon ab, sich ernsthaft mit dem Messiasanspruch Jesu auseinanderzusetzen.
7) Theologische Schwierigkeiten und Mißverständnisse
Obwohl die meisten Gründe, die ich bisher für die Ablehnung Jesu genannt habe, sozial-historisch sind, sollte man die theologischen Aspekte nicht unterbewerten. Während das Judentum des zweiten Tempels den Weg für das Christentum bereitete, hat sich das spätere, mittelalterliche Judentum oft bewußt vom Christentum abgegrenzt, zum Beispiel indem sie die absolute Einheit Gottes (im Gegensatz zum dreifaltigen Gott) hervorhoben, oder die Tatsache, daß der Messias bloß ein Mensch und in keinster Weise göttlich sein würde. Ein anderes zentrales Thema, welches heute genauso relevant ist wie zur Zeit des neuen Testaments, ist der Glaube, daß der Messias Frieden auf Erden bringen und Israel physisch als glorreichen Staat ähnlich dem davidischen oder salomonischen Königreich widerherstellen sollte. Nach dieser Vorstellung kann Jesus nicht der Messias sein, denn er hat in keinster Weise Frieden auf Erden gebracht. Im Gegenteil, seit seinem Kommen hat es genauso viele Kriege gegeben wie zuvor, und mehr Leid und Not für Israel und das jüdische Volk.
Diese theologischen Schwierigkeiten und viele weitere werden auf unserem Website angesprochen.
8) Doppelbundtheologie
Oft versteckt sich hinter dem Mangel christlichen Interesses an der Errettung Israels ein verfänglich falsches Doktrin, welches die Kirche durch ein paar einflußreiche Gestalten infiltriert hat und die Mission der Kirche in vielen Kreisen zur Erstarrung gebracht hat. Dies ist der Fehler der Doppelbundtheologie die lehrt, daß die Juden schon durch ihren Bund mit Gott gerettet wurden und deswegen Jesus und den neuen Bund nicht bräuchten. Auch wenn es wahr ist, daß Juden gerettet werden können, ohne den Messias oder die Kirche explizit zu kennen, wenn sie, durch kein eigenes Versagen, Gott mit einem aufrichtigen Herzen suchen und versuchen, seinen Willen nach ihren besten Fähigkeiten zu tun (KKK 846-47), so können " Kirche und Judentum nicht als zwei parallele Heilswege gesehen werden und die Kirche muß allen Zeugnis vom Erlöser Christus geben." (Notes on the Correct Way to Present the Jews and Judaism in Preaching and Catechesis in the Roman Catholic Church I. 7 I. 7, Vatican Commission for Religious Relations with the Jews, 1985).
9) Christliche Apathie oder lauwarme Katholiken
Viele Katholiken sind schlecht ausgerüstet, um ihren Glauben koherent zu beschreiben, und noch schlechter, um die jüdischen Wurzeln des katholischen Doktrins zu erklären. Andere fühlen sich durch diese Aufgabe bedrängt oder sind nicht daran interessiert. Wieder andere wurden von der Doppelbundtheologie beeinflußt oder haben sich den Erwartungen der politischen Korrektheit gebeugt, in dem Glauben, es sei unangemessen, dafür zu beten, daß Juden zum Glauben an Jesus kommen und sind scheu, ihnen von ihrem Glauben Zeugnis zu geben. Wie oft hört man eine Fürbitte für die Errettung der Juden in der Hl. Messe? Wie oft bringen sie diese Bitte in ihrem eigenen Gebet vor den Herrn? Der Brief des Jakobus ermahnt uns"ihr habt nicht, weil ihr nicht darum bittet" (Jk. 4:1). Wie viele Katholiken sagen von sich: "Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein Herz.großen Bedrängnis" und sind bereit "selber verflucht und von Christus getrennt (zu) sein um (seiner) Brüder willen" (Röm. 9:2-3). Einer der größten Stolpersteine, der viele Menschen vom Glauben gehalten hat, ist, daß die Christen nicht genug geliebt haben. Wie oft beten wir und wie wichtig ist es uns, daß der Schleier von den Augen des auserwählten Volk genommen wird und sie den Messias erkennen, und wie sehr sind wir uns bewußt, daß dieser Moment wie "Leben aus dem Tod" sein wird (Röm. 11:15)?
[Bemerkung des Herausgebers: Der folgende Kommentar wurde aufgrund einer besonderen Einladung hier veröffentlicht]
Malcolm - über die Erlösung der Juden
Danke für diese ausgezeichnete Exposition. Im Bezug zu der Erlösung der Juden kann man noch drei weitere Punkte nennen:
1. Als Paulus darauf beharrt, daß "ganz Israel gerettet werden wird," hat er, so glaube ich, die rabbinische Lehre des Sanhendrin Traktat im Kopf, daß "ganz Israel eine Rolle in der Welt hat, die noch kommen wird." Dies hat er in seiner rabbinischen Ausbildung gelernt. Im Römerbrief erscheint es, als wäre dies das Ende von Paulus Argument, aber tatsächlich ist es nur sein Ausgangspunkt. Das heißt, er versucht es nicht zu beweisen, sondern er versucht es sich vorzustellen, "wie" es geschehen wird.
2. Man muss bei der Interpretation des Heilswerks Christi zwischen einer objektiven und einer subjektiven Interpretation unterscheiden. Die subjektive Position, die viele Evangelikale vertreten, ist, daß ein Individuum bekennen muß, daß "Christus mein Retter ist" um gerettet zu werden. Diese Position muss man aber ablehenen, denn sie bedeutet, daß all solche, die nie die Möglichkeit gehabt haben, die christliche Botschaft zu hören automatisch in die Hölle verdammt sind, was unserer Annahme widerspricht, daß Gott nicht ungerecht und unbarmherzig ist. Die objektive Deutung, die in den Dokumenten des zweiten vatikanischen Konzils zum Ausdruck gebracht wurde, ist, daß Christus die gesammte Menschheit von der Bürde der Sünde befreit hat unabhängig von dem subjektiven Glauben einer Einzelperson. Dennoch ist der subjektive Glaube nicht unrelevant. Denn diese gleichen Dokumente betonen, daß wenn jemand weiß, daß die Lehre der Kirche wahr ist, und sie dennoch ablehnt, dann besteht die Gefahr, daß diese Person die Gnade der Errettung verliert (Auch der Sanhendrin Traktatus beinhaltet eine Liste von unglaublichen Vergehen, welche bestimmten Juden ein Teilhaben an der zu kommenden Welt vorenthält.) So, wie Du schreibst, "daß Juden gerettet werden können, ohne den Messias oder die Kirche explizit zu kennen, wenn sie, durch kein eigenes Versagen, Gott mit einem aufrichtigen Herzen suchen und versuchen, seinen Willen nach ihren besten Fähigkeiten zu tun." In der Tat, "Gott mit einem aufrichtigen Herzen suchen und versuchen, seinen Willen nach ihren besten Fähigkeiten zu tun" ist die subjektive Erwartung an alle Menschen, nicht nur an die Juden.
3. Im Fall der Juden jedoch, ist es einfacher zu wissen, was mit der Erwartung "Gott mit einem aufrichtigen Herzen suchen und versuchen, seinen Willen nach ihren besten Fähigkeiten zu tun." gemeint ist, da sie die Thora als Gott gegebenen Führer haben. Die Lehre des Paulus erklärt klar genug, daß Juden, die Christus anerkennen, die Thora weiterhin befolgen sollten, aber nicht-Juden täuschen sich, wenn sie glauben, daß sie die gesammte Thora einhalten müssen um Christus zu dienen, anstatt nur die Gebote zu halten, die Gott allen Menschen gegeben hat (viele davon listet Paulus selbst auf vielen Seiten auf). Paul sagt auch, daß die Thora ein Privileg für die Juden, aber ein Hemmnis für nicht-Juden ist. Ich glaube, er meint daß Juden, die mit der Thora aufgewachsen sind, keine Schwierigkeiten damit haben, die Befolgung der Thora zu lernen; denn, es ist genau diese Erziehung von Kindesbeinen an, die sie zu "kultivierten Ölzweigen" gemacht hat. für nicht-Juden ist die Bestrebung, die gesammte Thora von Anfang an auf einmal zu lernen ein großes Hemmnis für ihren Glauben. Diese Unterscheidung hat zwei logische Konsequenzen: Von den Christen wird nicht erwartet, daß sie die von Gott an die Juden gebotenen Gebote einhalten, aber es ist ihnen dennoch erlaubt, einige jüdische Praktiken zu übernehemen, wenn der Christ damit vertraut ist und die Teilnahme daran das christliche Leben bereichert. Zweiten, und viel wichtiger ist es, daß es den Christen verboten ist, den Juden Hindernisse in den Weg zu stellen, die sie davon abhalten könnten, die Thora zu befolgen. Sie sollten statt dessen alle Juden, ob sie an Jesus glauben oder nicht, dazu ermutigen, die Thora einzuhalten.