Das Judentum und die moderne Haltung zur Homosexualität
Dr. Norman Lamm ist der ehemalige Präsident der Jeschiwa Universität. Er hat den folgenden Artikel 1974 veröffentlicht.
Es ist eine Volksweisheit, dass unsere Gesellschaft völlig hedonistisch ist: ein zusammengebrochenes Familienleben, eine zügellose Unmoral und die Welt – angeführt von den USA – in den Geburtswehen einer sexuellen Revolution. Der Anstoß dieser jüngsten Revolution zeigt sich darin, dass ständig Neuland ergründet wird und kühne Verirrungen, die in einem Jahr noch kaum wahrgenommen wurden, im nächsten schon umso deutlicher offenbar werden – und ein Jahr darauf etwas ganz normales für die „jüngere Generation“ sind.
Einige Sex Forscher akzeptieren dieses Bild eines ständigen Sinkens der sexuellen Hemmungen und einer Steigerung der Freizügigkeit. Ihnen gegenüber stehen die, die falsche Überzeugungen anprangern wollen. Sie glauben, dass diese Ansicht reine Fantasie ist und dass es zwar eine bedeutende Veränderung in der sprachlichen Eleganz gegeben hätte, aber wahrscheinlich nur eine kleine Verhaltensänderung. Sie verweisen auf Statistiken, die bestätigen, dass es jetzt – wie zu Kinseys Zeiten - keinen zu verzeichnenden Anstieg der Häufigkeit sexueller Kontakte oder angeblicher Hemmungslosigkeit in der Sprache oder Kleidung gebe. Die „sexuelle Revolution“ ist für sie größtenteils ein Mythos. Andere jedoch halten daran fest, dass es in der westlichen Gesellschaft eine permanente Revolution gegen moralische Grundsätze gebe, dass aber die Form und Art der Revolte sich ständig verändert.
Soziologen und Statistiker werden es schließlich bestimmen müssen, welcher Standpunkt der richtige ist – oder besser noch: Historiker in der Zukunft, die das Glück haben, zurückschauen zu können. Einige Fakten jedoch sind ziemlich klar. Zunächst einmal hat die Klage darüber, dass moralische Beschränkungen am Fallen sind, in der jüdischen Tradition eine 2.000 oder 3.000-jährige Geschichte, die sich auch in der westlichen Zivilisation fortsetzt. Dann gab es da mit Sicherheit auch ein Anwachsen zumindest im Bereich der sexuellen Einstellungen, der sexuellen Sprache und Erwartungen, möglicherweise auch der Praxis. Drittens müssen solche sozialen und psychologischen Phänomene früher oder später zu Veränderungen in Sitten und Verhalten führen. Schließlich ist es auch unbestritten, dass die meisten der gegenwärtigen Einstellungen von den traditionellen jüdischen Sichtweisen hinsichtlich Sex und Sexualmoral abweichen.
Von allen sexuellen Modeerscheinungen, ist diejenige, die am meisten für ihren Kampfgeist bekannt ist und die am offensichtlichsten der Beleuchtung der Quellen jüdischer Tradition bedarf, die der sexuellen Abirrung. Das bezieht sich vor allem auf die männliche oder weibliche Homosexualität, zusammen mit einer Menge anderer Erscheinungen wie den Transvestitismus oder die Transsexualität. Sie sind alle Teil der erst neuerdings akzeptierten Theorie des überempfindlich reagierenden Charakters der Sexualität. Homosexuelle haben Akzeptanz in der Gesellschaft gefordert und diese Forderung hat verschiedene Formen angenommen – von einer flehentlichen Bitte, sie doch nicht strafrechtlich zu verfolgen, zu einer Forderung nach man sie nicht sozial sanktionieren soll bis hin zur lautstarken Behauptung, dass sie einen „alternativen Lebensstil“ darstellen, der in keinster Weise weniger legitim sei wie die Heterosexualität. Die verschiedenen Formen homosexueller Apologetik erscheinen weithin in der zeitgenössischen Literatur und im Theater von heute, ebenso wie in der Tagespresse. In den Vereinigten Staaten sind „schwule“ Aktivisten in zunehmenden und extremeren Maße lautstark in ihren öffentlichen Äußerungen sowie militanter geworden.
Rechtliche Lage
Homosexuelle wurden tatsächlich durch das Gesetz unterdrückt. So ordnete Kaiser Valentin etwa 390 nach Christus an, dass Knabenliebe durch Verbrennen am Stock zu bestrafen sei. Das Gesetzbuch von Justinian aus dem 6. Jahrhundert verfügte, dass Homosexuelle gefoltert, verstümmelt, öffentlich zur Schau gestellt und exekutiert werden sollen. Tausend Jahre später sagte Gibbon über die Strafe, die das Gesetz angeordnet hatte, dass „Knabenliebe zum Verbrechen derer wurde, denen man kein anderes Verbrechen anhängen konnte“. In modernen Zeiten jedoch erklärte das Gesetz Napoleons, dass Homosexualität, die im gegenseitigen Einvernehmen geschah, legal in Frankreich sei. Vor einem Jahrhundert wurden anti-homosexuelle Gesetze in Belgien und Holland widerrufen. In diesem Jahrhundert folgten Dänemark, Schweden und die Schweiz dem Beispiel und in jüngerer Zeit auch Tschechien und England. Die strengsten Gesetze der westlichen Welt finden sich in den Vereinigten Staaten, wo sie in den Gesetzgebungsbereich der einzelnen Staaten fallen und verschiedenste Namen tragen, für gewöhnlich aber als „Homosexualitäts-Gesetze“ bekannt sind. Strafen können sein geringe Gebühren bis hin zu fünf oder mehr Jahren Gefängnis (in einigen Fällen sogar eine lebenslange Haftstrafe), Verwahrung in einer psychiatrischen Anstalt auf unbestimmte Zeit und sogar Zwangssterilisation. Homosexuelle sind sogar in einigen Staaten von amtlich zugelassenen Berufen ausgeschlossen, weiterhin von vielen Berufsvereinigungen, vom Unterrichten und vom Beamtenstand – um nur einige Sanktionen zu nennen, auf die ein öffentlich bekannter Homosexueller trifft.
In jüngerer Vergangenheit hat sich eine neue Tendenz in den Vereinigten Staaten und anderswo hinsichtlich Homosexueller gebildet. So hat das Nationale Institut für Geistige Gesundheit 1969 einen Mehrheits-Bericht veröffentlicht, der befürwortete, Homosexualität im gegenseitigen Einverständnis zwischen Erwachsenen für legal zu erklären. Die Amerikanische Vereinigung für Bürgerliche Freiheiten stimmte dem zu. Bereits zuvor hatte dies Illinois getan (1962) und 1971 überarbeitete der Staat von Connecticut seine Gesetze entsprechend. Trotz der wachsenden rechtlichen und sozialen Toleranz sexueller Abweichung jedoch haben sich grundlegende Empfindungen gegenüber Homosexuellen nicht unbedingt geändert. Am deutlichsten zeigt sich das in Frankreich, wo die heutigen Homosexuellen immer noch in Schande und im Verborgenen leben, obwohl gesetzliche Beschränkungen vor über 150 Jahren aufgegeben wurden.
Statistiken
Statistisch hat sich der Anteil Homosexueller in der Gesellschaft offenbar nicht sehr geändert seit Professor Kinseys Tagen (sein Buch „Sexualverhalten des Mannes“ wurde 1948 veröffentlicht und seine Ausgabe über die Frau 1953). Kinseys Studien haben enthüllt, dass der harte Kern der männlichen Homosexuellen etwa 4-6% der Bevölkerung ausmacht. 10% hatten Erfahrungen mit „problematischem“ Verhalten während einer Periode ihres Lebens. Einer von dreien praktiziert irgendeine Form homosexuellen Verhaltens in der Zeit zwischen seiner Pubertät und seinen frühen 20ern. Die Dimensionen des Problems werden ziemlich überwältigend, wenn einem klar wird, dass gemäß diesen Zahlen von 200 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten etwa 10 Millionen überwiegend oder ausschließlich homosexuell sein werden und über 25 Millionen werden zumindest einige Jahre lang homosexuelle Erfahrungen haben.
Die neue Freizügigkeit
Die dramatischste Veränderung in unserer Einstellung gegenüber der Homosexualität ereignete sich zum ersten Mal in der Geschichte in der neuen Massen-Subkultur Jugendlicher, wo sie Teil einer völlig neuen Sichtweise der sexuellen Beschränkungen im allgemeinen ist. Hier hat die modische sexuelle Linke ihren größten Erfolg auf einer breiten Ebene erzielt, indem sie besonders die Ablehnung westlicher Traditionen hinsichtlich der sexuellen Rollen und der sexuellen Typisierung ansprach. Eine Anzahl verschiedener Richtungen tragen zu diesem ideologischen Reservoir bei, aus dem sich die neue Sympathie für Homosexualität speist. Freud und seine Schüler begannen den modernen Protest gegen sexuelle Einschränkungen und bezeichneten die Schuld, die einer Übertretung folgte, als ursächlich für die Neurosen, die die Menschen heimsuchten. Viele Psychoanalytiker fingen an, der Wichtigkeit der Sexualität im menschlichen Leben zu viel Bedeutung beizumessen und dies brachte schließlich eine neue Art sexuellen Heilsbestrebens hervor. So hat schließlich Wilhelm Reich die sexuelle Energie als „durch sich selbst lebenswichtige Energie“ ausgemacht und in Übereinstimmung mit seiner marxistischen Ideologie Marx und Freud zu harmonisieren versucht. Für Reich und seine Anhänger ist die sexuelle Revolution die „Machina ultima“ für die gesamte leninistische Befreiung auf allen Gebieten des Lebens und der Gesellschaft. Die Rebellion gegen restriktive Moralvorschriften war für sie nicht nur ein Weg zum Hedonismus, sondern eine Form des sexuellen Mystizismus: der Orgasmus wird nicht nur als die angenehme explosive Entspannung eines inneren sexuellen Drucks gesehen, sondern als ein Mittel für individuelle Kreativität und Einsicht und für den Wiederaufbau der Befreiung der Gesellschaft. Schließlich kommt die Betonung der Freiheit und sexuellen Autonomie von Sartres Version der kantschen Sichtweise menschlicher Unabhängigkeit.
In dieser Atmosphäre wucherten Empfindungen, die diese sexuellen Abweichungen befürworten und viele Gesellschaftsschichten erreichten. Es sagt schon einiges, dass religiöse Gruppen die Soziologen und Ideologen dieser Abweichungen um zu bekräftigen, was man „das Geburtsrecht der Menschen auf zügellose Geschlechtsneutralität“ genannt hat. Etliche protestantische Gemeinden in Amerika und ab und zu ein katholischer Geistlicher haben sich für eine wohlwollendere Einstellung gegenüber Homosexuellen ausgesprochen. Auf einer Linie mit der neuen christlichen Freizügigkeit, die sich in „Sex und Moralität“ (1966) gezeigt hatte, dem Bericht einer Arbeitsgruppe des britischen Kirchenrats, beschloss eine Gruppe amerikanischer Geistlicher der episkopalischen Kirche im November 1967, dass homosexuelle Handlungen nicht automatisch als falsch anzusehen seien. Indirekt meinten sie, dass eine homosexuelle Beziehung nicht anders sei als eine heterosexuelle Ehe. Sie müsse aber danach beurteilt werden, ob sie „in der Absicht eingegangen wurde, eine andauernde Liebesbeziehung zu pflegen“. Jüdische Kämpfer für die sexuellen Abweichungen waren führend in der Schwulenbewegung und zögerten nicht, ihren Standpunkt in amerikanischen Zeitungen und in der Presse zu befürworten. Christliche Gruppen tauchten langsam auf, die einer homosexuellen Anspruchsgruppe gerecht wurden und Juden standen dem nicht viel nach. Diese letzte Veranschaulichung des Prinzips „wie es sich christelt, so jüdelt es sich“ wird am Ende dieses Aufsatzes beschrieben werden.
Militante Homosexuelle sind weder mit einer Herangehensweise aus Sicht der „psychischen Gesundheit“ zufrieden, noch damit, Bürgerrechte einzufordern. Sie lassen keinen Zweifel daran, darauf zu bestehen, dass die Gesellschaft sexuelle Abweichungen als einen moralisch legitimen und sozial annehmbaren „alternativen Lebensstil“ anerkennen müsse.
Dies sind die grundlegenden Fakten und Theorien der gegenwärtigen Befürworter sexueller Abweichungen. Was ist die klassische jüdische Einstellung hierzu und welche Vorschläge könnte man machen, um sich dem komplexen Problem des Homosexuellen in der heutigen Gesellschaft anzunähern?
Biblische Betrachtung
Die Bibel verbietet homosexuellen Geschlechtsverkehr und nennt ihn ein Gräuel: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel.“ (Leviticus 18,22). Für beide Schuldigen wird in Lev. 20,13 die Todesstrafe angeordnet. Im ersten Abschnitt wird Homosexualität mit Sex mit Tieren in Verbindung gebracht und im zweiten mit Inzest und Sex mit Tieren (bei diesen Wörtern gibt es eine beträchtliche Verwirrung hinsichtlich der Begrifflichkeit).
Die Stadt Sodom hatte die zweifelhafte Ehre, ihren Namen der Homosexualität zu leihen [im Englischen kann das Wort Sodomie u.a. für Homosexualität im Allgemeinen oder Analverkehr im Besonderen gebraucht werden – der Übersetzer] wegen des bekannten Versuches einer homosexuellen Vergewaltigung, als die gesamte Bevölkerung „Jung und Alt, alles Volk von weit und breit“ das Haus Lots, dem Neffen Abrahams, umzingelten und forderten, dass er ihnen seine Gäste ausliefere „mit ihnen verkehren“ (Gen. 19,4.5). Die Dezimierung des Stammes Benjamin resultierte aus diesem bekannten Vorfall, bei dem eine Gruppe von Benjamiten in Gibea eine homosexuelle Vergewaltigung begehen wollten. Er wurde in Richter 19 festgehalten.
Gelehrte haben den in der Tora verbotenen (Deut. 23,18) Kadesch als einen rituellen männlichen homosexuellen Prostituierten ausfindig gemacht. Diese Form eines heidnischen Kults durchdrang Judäa von den umgebenden kanaanitischen Gegenden in der Zeit des frühen Königtums. So hat Rehoboam – wahrscheinlich unter dem Einfluss seiner ammonitischen Mutter – diese kultische Homosexualität während seines Königtums toleriert (I Könige 14,24). Sein Enkel Asa versuchte, den Tempel in Jerusalem von dieser Praxis zu säubern (I Könige 15,12), so wie es auch sein Urenkel Jehoschafat tat. Aber erst in den Tagen Josias mit ihren durchgreifenden Reformen, die er einführte, wurde der Kadesch endlich aus dem Tempel und dem Land entfernt (II Könige 23,7). Auch der Talmud (Sanhedrin 24b) bekräftigt, dass der Kadesch ein homosexueller Funktionär war (es ist jedoch möglich, dass der Begriff auf einen heterosexuellen männlichen Prostituierten anspielt). So liest man in II Kön. 23,7 wie Frauen Schleier für die Aschera webten. Die Gegenwart von Frauen könnte darauf hinweisen, dass der Kadesch nicht unbedingt homosexuell war. Die Meinung des Talmuds, der den Talmud als männlichen Homosexuellen bezeichnet, könnte nur eine Referenz sein. Darüber hinaus gibt es andere Meinungen in der Literatur über den Talmud bezüglich der Bedeutung dieses Verses: etwa Onkelos, Lev. 23,18, Nachmanides und Tora Temima (dieselbe Stelle).
Die Herangehensweise des Talmud
Die rabbinische Exegese der Bibel findet noch andere homosexuelle Referenzen in den Erzählungen der Heiligen Schrift. Noahs Generation wurde dazu verurteilt, von der Flut ausgelöscht zu werden, da sie moralisch so tief gesunken waren, dass sie gemäß der Lehre des Midrasch formelle Eheverträge für Homosexualität und Sex mit Tieren ausstellten – eine mögliche kryptische Referenz auf derartige Praktiken in Rom seitens Nero und Hadrian (Lev. R. 18,13).
Von Ham, dem Sohn Noahs, wird uns erzählt, dass er „die Blöße seines Vaters“ sah und seinen zwei Brüdern davon erzählte (Gen. 9,22). Warum sollte diese Handlung einen derart harten Fluch, der Ham von seinem Vater entgegengeschleudert wurde, gerechtfertigt haben? Die Rabbis bieten zwei Antworten an: Nummer eins: Der Text weist indirekt darauf hin, dass Ham Noah kastrierte und zwei: dass der biblische Ausdruck ein Idiom für homosexuellen Geschlechtsverkehr ist (siehe Rashi, an eben dieser Stelle). Was die biblische Geschichte von Josephs Kauf als Sklave durch Potifar betrifft (Gen. 39,1), kommentiert der Talmud, dass er ihn für homosexuelle Zwecke anschaffte, dann aber ein Wunder geschah und Gott den Engel Gabriel sandte, um Potifar zu kastrieren (Sotah 13b).
In der auf die Bibel folgenden Literatur sind bemerkenswert wenige Vorfälle von Homosexualität verzeichnet. Herods Sohn Alexander hatte laut Josephus (Kriege, I, 24,7) homosexuellen Kontakt mit einem jungen Eunuchen. Sehr wenige Berichte von Homosexualität sind uns von der talmudischen Ära überliefert (TJ Sanhedrin 6,6, 23c: Jos. Ant., 15,25-30).
Homosexuelle Akte unter Juden werden interessanterweise in der Halacha als Mischkav Zakur berichtet (der jüdische Begriff für Homosexualität. Die Bibel verwendet verschiedene Begriffe – etwa bezieht sich derselbe Begriff in Num. 31,17 und 35. heterosexuellen Geschlechtsverkehr durch eine Frau, wohingegen der Ausdruck für männlichen homosexuellen Geschlechtsverkehr in Lev. 18,22 und 20,13 Mischkevei Ischa ist). Die Mischna lehrt, dass R. Juda es zwei Jungesellen verbot, unter derselben Decke zu schlafen, aus Angst, dies würde zu einer homosexuellen Versuchung führen (Kidduschin 4,14). Jedoch erlaubten die Weisen es (dieselbe Stelle), denn Homosexualität war so selten unter Juden, dass eine solche präventive Gesetzgebung als unnötig gesehen wurde (Kidduschin 82a). Dieser letztere Standpunkt wurde als Halacha von Malmoniden festgehalten (Yad, Issurei Bi‘ah 22,2). Etwa 400 Jahre später warnte R. Joseph Caro, der das Gesetz nicht in geeigneter Weise gegen Homosexualität festschrieb, trotzdem davor, allein mit einem anderen Mann zu sein, wegen der Unanständigkeit, die in „unserer Zeit“ vorherrschte (Even ha-Ezer 24). Ungefähr hundert Jahre später kehrte R. Joel Sirkes zur ursprünglichen Regelung zurück und hob das Verbot auf, denn obszöne Handlungen waren unter polnischen Juden völlig unbekannt (Bait Hadascha to Tur, Even ha-Ezer 24). Tatsächlich ging ein hervorragender Zeitgenosse von R. Joseph Caro, R. Solomon Luria, noch weiter und erklärte, dass Homosexualität so selten sei, dass man sich eines selbstgerechten Stolzes oder religiösen Snobismus schuldig machte, wenn man sich weigerte, seine Decke mit einem anderen Mann als eine besondere Handlung der Frömmigkeit zu teilen (betreffend oben genannter und weiterer Autoritäten, siehe Ozar ha-Posekim, IX, 236-238).
Antworten
Wie zu erwarten, ist die hierauf antwortende Literatur sehr sparsam mit dem Thema Homosexualität. Eine der wenigen Ausnahmen stammt vom verstorbenen R. Abraham Isaac Ha-Kohen Kook, als er noch der Rabbi von Jaffa war. 1912 wurde er wegen eines rituellen Schlachters gefragt, den man der Homosexualität verdächtigte. Nachdem er alle Aspekte des Falles abgewogen hatte, wies er die Anklage gegen den Verdächtigen ab, da sie auf unbegründetes Hörensagen beruhte. Weiterhin bekräftigte er, der Mann hat möglicherweise bereut und konnte deshalb jetzt nicht mehr belangt werden.
Die Tatsache, dass es nur wenige halachische Überlegungen zur Homosexualität gibt und das doch sehr explizite Bestehen mehrerer halachischer Gelehrter darauf liefern genügend Beweise für die relative Abwesenheit dieser Praxis unter Juden von den alten Zeiten an bis heute. Tatsächlich fand Professor Kinsey heraus, dass Religion ein Einflussfaktor von zweitrangiger Wichtigkeit bezüglich der Zahl von Homosexuellen als auch von heterosexuellen Handlungen von Männern war. Orthodoxe Juden bildeten hier eine Ausnahme, da Homosexualität außerordentlich selten unter ihnen ist.
Jüdische Gesetze haben weibliche Homosexuelle nachsichtiger als männliche behandelt. Weibliche Homosexualität wurde als „issur“ betrachtet, eine gewöhnliche religiöse Verletzung, statt als „arayot“, ein spezifisch sexueller Verstoß, der weit strenger gesehen wurde als ein „issur“. R. Huna meinte, dass weibliche Homosexualität das Gegenstück von Hurerei ist und eine Frau nicht dafür qualifizierte, einen Priester zu heiraten. Die Halacha ist jedoch nachsichtiger und stellt fest, dass zwar die Handlung verboten ist, die Lesbierin aber nicht bestraft wird und es ihr erlaubt ist, einen Priester zu heiraten (Sifra 9:8: Shab. 65a: Yev. 76a). Jedoch rechtfertigt die Übertretung disziplinarische Geißelung (Maimonides, Yad, Issurei Bi'ah 21:8). Die weniger strafende Einstellung der Halacha der weiblichen Homosexuellen gegenüber im Vergleich zum männlichen spiegelt keine intrinsische Verurteilung der einen gegenüber des anderen wieder, sondern ist eher die technische Betrachtung der Halacha: es gibt keine ausgewiesene biblische Ächtung weiblicher Homosexualität und die Handlung führt nicht zum genitalen Geschlechtsverkehr (Maimonides, loc. cit.).
Die Halacha bekräftigt, dass der Bann der Homosexualität weltweit gilt – für Nicht-Juden und Juden gleichermaßen (Sanh 58a: Maimonides, Melakhim 9:5, 6). Sie ist eine der sechs Beispiele für arayot (sexuelle Überschreitungen), die einem Noachiden verboten sind (Maimonides, ibid).
Die meisten halachischen Gelehrten – wie etwa Rashba und Ritba – stimmen mit den Maimonides überein. Eine Minderheiten-Meinung hält daran fest, dass Sex zwischen älteren Männern und männlichen Jugendlichen bzw. Analverkehr zwischen Männern „gewöhnliche“ Verbote seien und keine sexuellen Überschreitungen, besonders sexuelle Vergehen, die es verlangen, dass man sich einem Martyrium hingibt anstatt das Gesetz zu übertreten. Der Jerusalemer Talmud aber vertritt die Mehrheits-Meinung (siehe D. M. Krozer, Devar Ha-Melekh, I, 22, 23 (1962), die auch zu bedenken gibt, dass die Maimonides einen Unterschied machen, bei dem der „männliche“ oder aktive Partner im homosexuellen Geschlechtsverkehr sich einer sexuellen Überschreitung schuldig macht, wohingegen der passive oder „weibliche“ Partner ein issur übertritt – also ein gewöhnliches Verbot.
Gründe für ein Verbot
Warum verbietet die Tora Homosexualität? Wenn man im Kopf behält, dass die dargebotenen Gründe für die verschiedenen Gebote nicht als entscheidend angenommen werden sollen, sondern als menschlicher Versuch, unveränderliches göttliches Gesetz zu erklären, so haben die Rabbis des Talmud und später Talmudisten durchaus eine Zahl aufschlussreicher Gründe für das Gesetz geliefert.
Wie festgestellt, verurteilt die Tora die Homosexualität als to‘evah, ein Gräuel. Der Talmud berichtet von der Interpretation von Bar Kapparah, der to‘evah in einem Wortspiel als to‘eh atta bah definierte. „Du kommst deshalb vom Weg ab.“ (Nedarim 51a ). Die genaue Bedeutung dieser Passage ist unklar und verschiedene Erklärungen wurden vorgetragen.
Die Pesikta (Zutarta) erklärt die Feststellung von Bar Kapparah, indem sie sich auf die Unmöglichkeit der Fortpflanzung bei dieser Sexualität bezieht. Eine der wesentlichen Funktionen (wenn nicht die wesentliche Absicht) der Sexualität ist die Reproduktion und diese Ursache für die sexuelle Ausstattung eines Mannes wird durchkreuzt durch mishkav zakhur (vgl. Sefer ha-Hinnukh, no. 209).
Eine andere Interpretation ist die von den Tosafot und R. Asher ben Jehiel (in ihren Kommentaren zu Ned. 51 a), die das „Vom-Weg-Abkommen“ oder Wandern darauf beziehen, dass der Homosexuelle seine Frau verlässt. In anderen Worten besteht das Gräuel in der Gefahr, dass ein verheirateter Mann mit homosexuellen Tendenzen sein Familienleben unterbrechen und sich seinen Perversionen hingeben könnte. Saadiah Gaon ist der Meinung, dass die Erhaltung der Familienstruktur (Emunot ve-De'ot 3:1: cf. Yoma 9a) die rationale Basis des Großteils der moralischen biblischen Gesetze ist. (Dieses Argument beansprucht momentan seine Beweiskraft im Licht des erklärten Ziels einiger schwuler Militanter, die Familie zu zerstören, die sie als eine „unterdrückerische Einrichtung“ ansehen).
Eine dritte Erklärung wird von einem modernen Gelehrten angeboten: Rabbi Baruch Ha-Levi Epstein (Torah Temimah to Lev. 18:22), der die Unnatürlichkeit der homosexuellen Verbindung betont: „Ihr verlasst die Grundlage der Schöpfung.“ Mishkav zakhur fordert die wesentliche Struktur der Anatomie der Geschlechter heraus, die offensichtlich für heterosexuelle Beziehungen geschaffen wurde.
Es kann jedoch auch sein, dass gerade die Verschiedenheit der Interpretationen von to‘evah auf eine noch grundlegendere Bedeutung hinweist, nämlich dass eine Handlung, die als „Gräuel“ zu charakterisieren ist, auf den ersten Blick abstoßend ist und nicht weiter definiert und erklärt werden kann. Bestimmte Handlungen werden von der Thora als to‘evah gesehen – und dabei bleibt es. Es ist sozusagen eine instinktive Reaktion und Disqualifikation der Handlung und wir laufen Gefahr, das biblische Urteil zu verzerren wenn wir versuchen, rationale Gründe dafür zu finden. To‘evah ist eine aus sich heraus anstößige Kategorie, ein ursrpüngliches Phänomen. (Dies verstärkt noch Rabbi David Z. Hoffmanns Behauptung, dass to‘evah von der Torah verwendet wird, um die Widerwärtigkeit einer verbotenen Handlung zu beschreiben, egal wie sehr sie auch in Mode sein mag unter avangardistischen und intellektuellen Kulturen – vgl. auch seine Sefer Va-yikra, II, p. 54.).
Jüdische Haltungen
Auf Basis des oben genannten müssen Anstrengungen erfolgen, eine jüdische Antwort für die Probleme der Homosexualität unter den Umständen, unter denen die meisten Juden heute leben, nämlich die von freien und demokratischen Gesellschaften und – mit der Ausnahme Israels – nicht-jüdischer Länder und Traditionen, zu formulieren.
Hierbei gibt es vier allgemeine Möglichkeiten, sich dem Thema anzunähern: 1) Repressiv: Keine Nachsicht gegenüber dem Homosexuellen, sonst wird die moralische Grundlage der restlichen Gesellschaft geschwächt. 2) Praktisch: Verzicht auf eine Haftstrafe und alle Formen sozialer Belästigungen, vor allem aus praktischen Gründen und Gründen der Besonnenheit. 3) Nachgiebig: Dasselbe wie eben, aber aus ideologischen Gründen, nämlich die Akzeptanz der Homosexualität als einen legitimen alternativen „Lebensstil“. 4) Psychologisch: Homosexualität sollte zumindest in einigen Formen als eine Krankheit anerkannt werden. Dieses Anerkennen muss unsere Einstellung gegenüber dem Homosexuellen bestimmen.
Lasst uns jeden dieser Punkte kritisch betrachten.
Die repressive Haltung
Exponenten des strengsten Ansatzes sind der Ansicht, dass Päderasten die Vorhut des moralischen Unwohlseins sind. Zum einen sind sie gefährlich für Kinder. Gemäß einer kürzlichen Arbeit wurden ein Drittel der Homosexuellen in der Studie in ihrer Jugend von Erwachsenen verführt. Es ist das Beste für die Gesellschaft, wenn sie inhaftiert werden und wenn unsere gegenwärtigen Gefängnisse Fehler haben, dann arbeiten wir daran. Homosexuellen sollte es sicher nicht erlaubt sein, als Lehrer, Gruppenleiter, Rabbis oder in irgend einer anderen Funktion tätig zu sein, wo sie für junge Menschen Vorbilder sein könnten und in engen Kontakt mit ihnen kommen. Eine gesunde Gesellschaft geht davon aus, dass ihre Mitglieder freie Wahl haben und deshalb für ihr Verhalten verantwortlich sind. Sexuelle Täter einschließlich von Homosexuellen handeln gemäß einer anderen jüngeren Studie „auf einer Primaten-Ebene mit der Philosophie, dass die Notwendigkeit die Mutter der Improvisation ist“. Wie Juden, die glauben, dass die Tora Rechtsvorschriften für einige moralischen Gesetze für die gesamte Menschheit erlassen hat, ist es uns auferlegt, alle Gesellschaften einschließlich der nicht-jüdischen zu ermutigen, die Gesetze Noahs einzuführen. Da aber Homosexualität gemäß der Halacha für diejenigen, die die Gesetze Noahs befolgen sowie für die Juden verboten ist, müssen wir danach trachten, die moralische Qualität der Gesellschaft zu stärken, indem wir noch restriktivere Gesetze gegen Homosexuelle befürworten. Mehr noch – wenn wir loyal den Lehren des Judentums gegenüber sind, können wir keinen Unterschied machen zwischen Verbrechen, die „kein Opfer“ haben und Gewaltverbrechen. Wenn wir also ein Problem mit Mord, Rassenunterdrückung oder Diebstahl haben, dürfen wir mit Homosexualität nicht anders verfahren.
Dieses Argument ist jedoch schwach – aus verschiedensten Gründen. Es beachtet nicht die Zahl der Homosexuellen aller Kategorien, die – wie wir herausgestellt haben – groß ist. Wir können einfach nicht alle Täter ins Gefängnis stecken und es ist eine offensichtliche Fehlgeburt der Justiz, unseren Ärger nur an den wenigen Unglücklichen auszulassen, die von der Polizei gefasst werden. Dies ist widersprüchlich, da es keinen vergleichbaren Aufschrei nach harter Verurteilung für andere Menschen, die die sexuelle Moral übertreten, gibt – etwa für diejenigen, die Ehebruch oder Inzest begehen. Um Beständigkeit zu ihrem logischen Abschluss zu bringen, sollte diese harte Linie gegenüber der Homosexualität nicht bei der Inhaftierung enden, sondern man sollte die Todesstrafe fordern, wie dies biblische Vorschrift ist. Warum nicht auch gleich dieselbe Todesstrafe für Blasphemie, das Essen eines Gliedes, das von einem lebenden Tier gerissen wurde, Götzendienst, Diebstahl – alles Gebote Noahs? Warum keine Todesstrafe für diejenigen, die das Sabbatgebot im Staat Israel missachten? Warum sollte der Knabenschänder für die Schande herausgegriffen und für ein Lehrbeispiel hergenommen werden, während alle anderen entkommen?
Diejenigen, die ernsthaft über solche Strategien nachdenken, die zwar logisch einen Zusammenhang bilden, aber sozial zerstörerisch sind, sollten besser an das Schicksal des dominikanischen Reformers und Mönches Girolamo Savonarola denken, der im Florenz des 15. Jahrhunderts eine fanatische Kampagne gegen Laster und alle, die der käuflichen Sünde verdächtigt wurden (besonders die Päderasten), durchführte. Die Gesellschaft zu dieser Zeit und an diesem Ort hätte - ähnlich wie die unsere – durchaus eine erhebliche Verbesserung vertragen können. Zu viel Medizin in zu starken Dosen jedoch war das Rezept des Mönches, worauf es Aufstände in der Bevölkerung gab und der Eiferer gehängt wurde.
Schließlich gibt es durchaus eine Anordnung in der Halachah, die zwischen gewaltsamen Verbrechen und solchen ohne Opfern unterschied bzw. zwischen Verbrechen, die im gegenseitigen Einverständnis erfolgten und solchen, bei denen das nicht der Fall war. So erlaubt der Talmud einem Passanten, einen Mann zu töten, der einen anderen Mann oder eine Frau verfolgt, wenn der Verfolger eine homo- oder heterosexuelle Vergewaltigung im Sinn hat, je nach Lage des Falles. Dies ist aber nicht erlaubt, wenn der Verfolger einem Tier nachjagt, um Sex mit ihm zu haben oder wenn er auf dem Weg ist, um einen Götzen anzubeten oder den Sabbat zu brechen (Sanh. 8:7, and v. Rashi to Sanh. 73a, s.v. al ha-behemah).
Praktische Einstellung
Die praktische Herangehensweise ist völlig pragmatisch und versucht sich in ihren Urteilen und Empfehlungen von jeglicher Ideologie zu befreien. Sie ist laut ihren Anhängern äußerst vernünftig. Strafgesetze, die eine Bestrafung für Homosexuelle fordern sind in der heutigen Gesellschaft nicht durchführbar. Wir haben zuvor die Statistiken bezüglich des extrem hohen Vorkommens von Päderastie in unserer Gesellschaft zitiert. Kinsey sagte einmal über die vielen sexuellen Handlungen, die von den verschiedenen Staaten unter Strafe gestellt sind, dass an die 95 % aller Männer in Haft kommen müssten, wenn man diese Strafen wirklich konsequent umsetzen würde. Weiterhin beinhaltet dieses besondere Vorurteil der Strafverfolgungsbehörden Homosexuellen gegenüber (selten hört man von einer Festnahme oder Inhaftierung von nicht gewalttätigen Heterosexuellen) eine besondere Ungerechtigkeit: sie ist nämlich eine Einladung zur Erpressung. Das Gesetz betreffend der Homosexualität wurde auch der „Freibrief für Erpresser“ genannt. Man ist sich allgemein einig darüber, dass das Gefängnis wenig dazu beiträgt, dass sich der Homosexuelle von seinen besonderen Umständen befreit. Sicherlich sollte das Unvermögen der Rehabilitation Grund zur Sorge für jeden zivilisierten Menschen sein. Selbst wenn das aber nicht der Fall sein sollte und das Verbrechen als so ernsthaft angesehen wird, dass eine Inhaftierung selbst unter der Unmöglichkeit jeglicher realistischer Chancen zur Veränderung ratsam erscheint, verlässt der gelegentliche Päderasten fast immer ein Gefängnis als ein verurteilter Krimineller. Ihm wurde die Gesellschaft von Frauen versagt und er wurde in eine Umgebung derer gezwungen, deren sexueller Ausdruck sich fast immer auf Päderastie beschränkt. Der gelegentliche Päderast wurde zu einem regelmäßigen: seine Homosexualität wurde ihm nun eingeprägt. Ist die Gesellschaft irgendwie sicherer dafür, dass sie einen vom rechten Weg abgekommenen Mann genommen und ihn in nur wenigen Jahren gelehrt hat, seine Verirrung in eine harte und schnelle Perversion zu verwandeln – und ihn dann auf die Allgemeinheit los lässt? Schließlich können von einem jüdischen Standpunkt – da es offensichtlich unmöglich für uns ist, Homosexuelle zum Tode zu verurteilen – genauso gut rein praktisch vorgehen und jegliche Gesetzgebung und Bestrafung in diesem Bereich des persönlichen Verhaltens abschaffen.
Diese Art zu denken ist genau deshalb verführerisch, weil sie sich direkt auf das Problem konzentriert und frei von jeglichen ideologischen Verpflichtungen ist. Das Problem dabei ist, dass sie zu sanft, zu leicht ist. Mit der selben Art zu denken könnte man das Ganze ad absurdum führen und alle Gesetze bezüglich Einkommenssteuer-Vergehen abschaffen oder alle Nazi-Morde vergeben und die Täter frei sprechen. Außerdem bringt das letzte Element eine neue Sichtweise der Halacha mit sich: wenn sie nicht vollständig eingeführt werden kann, sollte man sie komplett vergessen. Sicherlich legen uns die Gesetze Noahs – vielleicht mehr noch als alle anderen – klare moralische Imperative auf – aber haben sie vor allem zum Ziel die Bestrafung? Die praktische Umsetzung dieser Position geht zu Lasten der wirklichen moralischen Angelegenheiten – und für Juden der halachischen Prinzipien – die in jeder Diskussion um Homosexualität mitspielen.
Die erlaubende Haltung
Die ideologische Befürwortung einer vollständig erlaubenden Haltung gegenüber Homosexualität im gegenseitigen Einvernehmen und die Akzeptanz ihrer moralischen Legitimität ist natürlich sehr in Mode in anspruchsvollen liberalen Kreisen. Mit Hinblick auf das Gesetz vertritt sie die Ansicht, dass eine Abirrung nicht Angelegenheit des Gesetzes sei; die bürgerlichen Rechte des Homosexuellen seien genauso heilig wie die einer jeden anderen „Minderheit“. Vom psychologischen Blickpunkt her muss die Sexualität von den Fesseln der von der Religion und einem moralischen Code auferlegten Schuld befreit werden und das ihr eigentümliche Wesen muss bekräftigt werden.
Schwule Befreiungstheologen behaupten, dass die übliche Einstellung der „Heteros“ gegenüber Homosexualität auf drei Täuschungen oder Mythen basiert: dass Homosexualität eine Krankheit ist, dass sie unnatürlich ist und dass sie unmoralisch ist. Sie argumentieren, dass man sie nicht als Krankheit betrachten könne, weil bekannterweise so viele Menschen sie praktizieren. Sie sei nicht unnatürlich, da ihre angebliche Wider-Natürlichkeit von der Unmöglichkeit herrührt, dass Homosexualität Nachkommen produziert, wohingegen unsere Gesellschaft nicht mehr länger Arbeiter, Soldaten, Bauern oder Jäger hervorbringen müsse. Und sie sei nicht unmoralisch, denn Moral sei ja relativ und zweitens weil moralisches Verhalten durch eine „selbstlose, liebende Besorgnis“ charakterisiert werde.
Jetzt sind wir hier besorgt mit dem sexuellen Problem als solches und nicht mit Homosexualität als einem Symbol der ganzen zeitgenössischen ideologischen Polemik gegen Zurückhaltung und Tradition. Homosexualität ist ein zu wichtiges – und zu quälendes - menschliches Problem, als dass man es zulassen dürfe, dass es für politische Ziele, zur Unterhaltung oder als Schock-Therapie ausgebeutet wird.
Die platte Annahme, dass Päderastie wegen der großen Anzahl von Menschen, die homosexuelle Neigungen haben oder zum Ausdruck bringen, nicht als eine Krankheit angesehen werden könne, kann einer Kritik nicht standhalten. Keine geringere Autorität als Freud lehrte, dass eine ganze Zivilisation neurotisch sein könne. Erich fromm appelliert daran, eine gesunde Gesellschaft zu errichten – denn unsere sei dies nicht. Wenn die Mehrheit einer Nation mit Typhus darnieder liegt, wird dieser Zustand dann durch eine merkwürdig kalkulierte Formulierung gesund? Ob Homosexualität als eine Krankheit gesehen werden kann oder nicht ist eine ernsthafte Frage und sie hängt von der eigenen Definition von Gesundheit und Krankheit ab. Bloße Statistiken jedoch sind sicherlich nicht das Husarenstück für das psychologische Argument, dass bald diskutiert werden wird.
Die Bewertung des schwulen Lebens als „natürlich“ auf Basis wechselnder sozialer und ökonomischer Bedingungen ist nichts anderes als eine verbale Verschleierung. Selbst wenn wir dem weithin angenommenen Gefühl beipflichten, dass die Weltbevölkerung gefährlich groß sei und dass nun ein Nullwachstum wünschenswert wäre, bleibt die anatomische Tatsache unverändert: die Fortpflanzungsorgane sind zur Fortpflanzung geschaffen. Wenn die Wörter „natürlich“ und „unnatürlich“ irgendeine Bedeutung haben, dann müssen sie in der unveränderlichen Realität der menschlichen Geschlechtsorgane verwurzelt sein und nicht in urzlebigen sozialen Konstrukten.
Militante Feministinnen ebenso wie schwule Aktivisten reagieren heftig auf die Annahme, dass der natürliche Körperbau die Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit bestimmter Handlungen beinhalte, aber genau dieser Standpunkt wurde kürzlich von einem der am besten informierten Schreiber über dieses Thema bekräftigt. "Man kann schon mit ziemlicher Sicherheit aus der Forschung im Labor und ethologischen Parallelen folgern, dass Mann und Frau in einer Art und Weise angelegt sind, die unseren traditionellen Geschlechterrollen entsprechen. Freud sagte sehr dramatisch, dass Anatomie Schicksal sei. Wissenschaftler, denen dabei mulmig wird, selbst wenn es noch so korrekt ist, könnten es so formulieren: Anatomie ist funktionsgemäß und Körperfunktionen haben eine tiefe psychologische Bedeutung für Menschen. Anatomie und Funktion sind oft gut ausgebildet (Arno Karlen, Sexuality and Homosexuality, p. 501).
Die moralischen Angelegenheiten führen uns in einen Sumpf aus immerwährenden philosophischen Abhandlungen einer grundlegenden Natur. In einer gewissen Art und Weise erleichtert dies das Problem für die, die eine jüdische Sichtweise suchen. Das Judentum akezptiert nicht die Art von tiefgehenden Relativismus, der verwendet wird, um das scnhwule Leben als einen bloßen alternativen Lebensstil zu rechtfertigen. Wohingegen die Frage der menschlichen Autonomie hinsichtlich der menschlichen Sexualität sicherlich eine Betrachtung wert ist, muss man sich vor den Konsequenzen hüten, die eine logische extreme Fortführung dieses Argumentes mit sich bringt. Das Judentum schätzt die Heiligkeit ganz klar als einen größeren Wert ein als Freiheit oder Gesundheit. Wenn außerdem die Autonomie eines jeden einzelnen uns dazu führt, jeder gewünschten Form sexuellen Ausdrucks moralische Legitimität zu verleihen, müssen wir bereit sein, diese moralischen Gültigkeit auf fast den gesamten Katalog der von Krafft-Ebing beschriebenen Perversion auszuweiten und es dann den Befürwortern von Analverkehr, Fetischismus oder was auch immer durch den Zaubertrick der Verleihung von Bürgerrechten für die nicht Anstößigen erlauben, öffentlich für ihre Sache zu werben. Wenn wir schon dabei sind, warum nicht auch im Schulsystem? Und wenn die Zustimmung vor dem Tod eines Partners erlangt wird, warum nicht auch Leichenschändung oder Kannibalismus? Sicherlich, wenn wir die Päderastie als nur eigentümlich und nicht als "Gräuel" bezeichnen, welches Recht haben wir dann, sexuell motivierten Kannibalismus zu verurteilen – nur weil die Mehrzahl der Menschen mit Abscheu und Ekel darauf reagieren würden?
"Liebevolle, selbstlose Anteilnahme" und "bedeutsame, persönliche Beziehungen" – die großen Slogans der Neuen Moralität und die Exponenten der Situations-Ethik wurden zur Litanei der Homosexualität in unserer Zeit. Einfache Logik sollte uns erlauben, dieselben Kriterien anzuwenden, wenn es darum geht, Ehebruch oder irgendeine andere heterologe Handlung, die für gewöhnlich als unmoralisch bezeichnet wird, zu entscchuldigen - und tatsächlich: genau das wurde getan und wurde nicht nur von Liberalen und Humanisten für gut befunden, sondern auch von gewissen Religions-Anhängern. "Liebe", "Erfüllung", "ausbeutend", "bedeutsam" – die Liste selbst klingt wie ein Lexikon emotions-geladener Begriffe, die durch das Zufalls-Prinzip aus den verschiedenen Quellen sowohl christlicher und psychologisch-orientierter agnostischer Zirkel gezogen wurden. Logischerweise müssen wir die nächste Frage stellen: welche moralische Sittenlosigkeiten können nicht durch das bloße Charakteristikum "warme, bedeutsame menschliche Beziehungen" oder Erfüllung – den neuesten semantischen Erben für "Liebe" – entschuldigt werden?
Liebe, Erfüllung und Glück können auch in inzestuösen Kontakten erlangt werden - und gewiss in polygamen Beziehungen. Ist wirklich nichts mehr übrig, das „sündhaft“, „unnatürlich“ oder „unmoralisch“ ist, wenn es „zwischen zwei zustimmenden Erwachsenen“ praktiziert wird? Wenn religiöse Gruppen behaupten, eine homosexuelle Beziehung solle mit den gleichen Kriterien beurteilt werden wie eine heterosexuelle – wenn sie also „dazu angelegt ist, eine dauerhafte Liebesbeziehung zu fördern“ - so geben sie damit den letzten Anspruch auf, die „christlich-jüdische Tradition“ zu vertreten.
Ich habe anderswo einen Aufsatz über eine Kritik der Situationisten geschrieben, über ihren Gebrauch des Begriffes „Liebe“ und ihre Einwendungen gegenüber der traditionellen Moral, wie sie in der Halacha als bloßer „Legalismus“ dargestellt wird (vgl. Glaube und Zweifel, Kapitel 9, Seite 249 ff.). Situationisten wie Joseph Fletcher haben besonders „pilpolistische Rabbis“ angegriffen, weil sie in den Windungen von satzungsmäßigen und legalistischen Haarspaltereien hängen blieben. Unter anderem enthüllt diese typisch christliche Polemik eine Unkenntnis des Wesens der Halacha und ihrem Platz im Judentum, das niemals behauptete, dass das Gesetz aus dem Leben stammen müsse, sondern immer wieder um Amtshilfe nachsuchte und anerkannte, dass Einzelne möglicherweise durch das Gesetz benachteiligt wurden und das danach trachtete, zu berichtigen, was berichtigt werden konnte, ohne dabei die große Mehrheit an ein gesetzliches und moralisches Chaos zu verlieren, nur weil sich einige dabei unwohl fühlten.
Verständlicherweise muss das Judentum sich nicht verteidigen oder entschuldigen für seine Wertschätzung der Nächstenliebe und des Mitleids für jemanden der leidet, es kann aber nicht zulassen, dass seine grundlegendsten moralischen Prinzipien umfassend verworfen werden, weil diejenigen, die von deren Urteil betroffen sind, dies als repressiv empfinden. Alle Gesetze sind bis zu einem bestimmten Grad repressiv – sie drängen ungesetzliche Aktivitäten zurück – und bei allen moralischen Werten geht es darum, den Menschen und seine Gesellschaft zu verändern und verbessern. Homosexualität legt einem die unerträgliche Last des Verschieden-Seins, des Absurden und der Einsamkeit auf, das biblische Gebot aber, das Päderastie verbietet, kann nicht übergangen werden, nur weil man Sympathie für das Opfer und dessen Gefühle empfindet. Auch die Moral ist etwas, das jeder von uns in seiner Sinnlichkeit, Eigenart und unmoralischen Neigung ernsthaft betrachten muss, bevor er seinen Impulsen nachgibt.
Psychologische Einstellungen
Vor einigen Jahren habe ich empfohlen, dass jüdische Psychologen die homosexuelle Verirrung als etwas Pathologisches sehen und so die Einsichten der jüdischen Tradition mit den Erfordernissen des zeitgenössischen Lebens und der wissenschaftlichen Information in Einklang bringen, so wie es auch mit dem Wesen der Homosexualität der Fall ist (Jewish Life, Jan-Feb. 1968). Die folgenden Bemerkungen sind eine Erweiterung und Abänderung dieser Position, zusammen mit neuen Daten und Vorstellungen.
Der Vorschlag, dass Homosexualität als eine Krankheit gesehen werden sollte, wird sofort von drei Gruppen von Menschen abgelehnt werden. Schwule Aktivisten sind gegen diese Sichtweise, weil sie ein Beispiel für eine heterosexuelle, herablassende Haltung ist. Evelyn Hooker und ihre Gruppe von Psychologen behaupten, dass Homosexuelle nicht weniger krankhaft in ihren Personalitätsstrukturen sind als Heterosexuelle. Die Psychiater Thomas Szasz aus den USA und Ronald Laing in England weisen alle traditionellen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit als Werkzeuge sozialer Unterdrückung oder bestenfalls herkömmlichen Schablonendenkens zurück. Wir stimmen zwar darin überein, dass es tatsächlich unglückliche Beispiele dafür gibt, wo die Kategorie der Geisteskrankheit aus sozialen oder politischen Gründen missbraucht wird, sind aber anderer Meinung als alle drei Gruppen und gehen davon aus, dass es eine bedeutsame Anzahl von Päderasten und Lesben gibt, die man tatsächlich als pathologisch bezeichnen kann – ausgehend von den Kriterien, die von den meisten Psychologen und Psychiatern anerkannt werden. Dr. Albert Ellis etwa, ein glühender Anhänger des Rechts auf Abirrung etwa leugnet, dass es so etwas wie einen ausgeglichenen Homosexuellen gibt. In einem Interview stellte er fest, dass er zwar davon ausging, dass die meisten Homosexuellen neurotisch seien, nun aber davon überzeugt sei, dass % an einer Borderline-Psychose leiden würden, dass der gewöhnlich gefestigte männliche Homosexuelle ernsthafte Phobien hätte und dass Lesben noch gestörter seien als männliche Homosexuelle (vgl.e Karlem, op. cit., p. 223ff.).
Bisher wurde keine alleinige Ursache für Homosexualität ausgemacht. Höchstwahrscheinlich ist sie auf ein Bündel von Faktoren zurückzuführen. Es gibt viele Nachweise dafür, dass die Neigung mit der Entwicklung und nicht so sehr mit der Konstitution zu tun hat. Trotz aller Bemühungen, eine genetische Ursache für die Homosexualität auszumachen, wurde hierfür noch kein Beweis erbracht und die Forscher neigen immer mehr dazu, Freuds Konzept der grundlegenden menschlichen biologischen Bisexualität und deren Begleiterscheinung der latenten Homosexualität zu verwerfen. Man geht nun allgemein davon aus, dass Homosexualität das Ergebnis einer ganzen Familien-Konstellation ist. Der passive, abhängige, phobische männliche Homosexuelle ist für gewöhnlich das Produkt einer aggressiven, verdeckt-verführenden Mutter, die allzu rigide und puritanisch mit ihrem Sohn ist und ihn so in eine Verbindung zwingt, in der er sexuell erregt wird und wo es ihm dennoch verboten ist, sich in irgendeiner heterosexuellen Art und Weise auszudrücken – und eines Vaters, der abwesend, weit weg, emotional nicht zugänglich oder feindlich ist (I. Bieber et al. Homosexuality, 1962).
Kann der Homosexuelle geheilt werden? Es gibt hier traditionell einen therapeutischen Pessimismus, der zurück auf Freud geht, aber eine Anzahl von Psychoanalytikern (einschließlich Freuds Tochter Anna) haben über Erfolge bei der Behandlung von Homosexuellen wie bei anderen Phobikern berichtet (in diesem Fall Furcht vor den weiblichen Geschlechtsorganen). Es ist allgemein anerkannt, dass ungefähr ein Drittel aller Homosexuellen erfolgreich geheilt werden kann: Verhaltenstherapeuten berichten sogar über eine noch höhere Zahl von Heilungen.
Natürlich kann man nicht kategorisch sagen, dass alle Homosexuellen krank seien. Diebe sind schließlich auch nicht alle Kleptomanen. Um eine vernünftige jüdische Annäherung an dieses Thema auf die Reihe zu bekommen und um in der Vorstellung von „Krankheit“ irgendeinen „strafmildernden“ Faktor zu finden, ist es notwendig, zuerst die wichtigsten Typen von Homosexuellen zusammenzustellen. Dr. Judd Marmor spricht von vier Kategorien. „Echte Homosexualität“ basiert auf starken vorherrschenden erotischen Gefühlen für Menschen desselben Geschlechts. „Vorübergehendes homosexuelles Verhalten“ kommt unter Jugendlichen vor, die eigentlich lieber heterosexuelle Erfahrungen hätten, denen aber solche Gelegenheiten versagt sind wegen sozialer, kultureller oder psychologischer Gründe. „Situationsbezogene homosexuelle Austausche“ sind charakteristisch für Gefangene, Soldaten und andere, die heterosexuell sind, aber denen der Zugang zu Frauen für eine lange Zeit verwehrt ist. „Vorübergehende und opportunistische Homosexualität“ ist die von straffälligen jungen Männern, die es zulassen, dass sie selbst als Päderasten missbraucht werden, um Geld zu machen oder Gefallen von anderen zu erlangen, wenngleich ihre vorherrschenden sexuellen Gelüste ausschließlich heterosexuell sind. Für unsere Analyse kann man noch zwei weitere Typen hinzufügen: Die erste Kategorie, also die echten Homosexuellen, könnte man in zwei Unter-Kategorien aufteilen: diejenigen, die ihre Situation als hart bezeichnen würden oder als eine unkontrollierbare Leidenschaft, von der sie sich am liebsten befreien würden, wenn sie könnten und die, die ihre Eigenart in eine Ideologie verwandeln, also militante Schwule, die behaupten, Homosexualität sei eine legitime und zulässige Alternative zur Heterosexualität. Die sechste Alternative basiert auf dem, was Dr. Rollo May den „Neuen Puritanismus“ nannte: die besondere moderne Auffassung, dass man Erfahrungen in allen sexuellen Vergnügungen sammeln müsse, ob man sich nun dazu hingezogen fühlt oder nicht, als ob man nicht wirklich gelebt hätte, wenn man nicht jeden Becher probiert hätte, der am üppigen Bankett des fleischlichen Lebens vorbeigezogen ist. Somit haben wir noch vorübergehendes homosexuelles Verhalten – und zwar nicht von Heranwachsenden, sondern von Erwachsenen, die meinen, sie müssten „alles ausprobieren“, sei es nun einmal oder öfter in ihrem Leben.
Eine mögliche halachische Lösung
Diese Rubrik wird es uns nun erlauben, den Begriff der Krankheit auf die verschiedenen Arten von Homosexualität anzuwenden (und sein Gegenstück aus halachischer Sicht: Die moralische Schuld). Natürlich bietet es sich an, echte Homosexualität, die unter Zwang erfahren wird, als pathologisch zu bezeichnen, besonders wenn in anderen Bereichen der Persönlichkeit Störungen auftreten. Opportunistische Homosexualität, ideologische und vorübergehende erwachsene Homosexualität sind am anderen Ende des Spektrums und erscheinen am verwerflichsten. Was die Kategorien dazwischen angeht, so kann man sie zwar nicht als Krankheit bezeichnen, sie haben unser Mitgefühl aber doch eher verdient als die drei oben genannten.
Wenn wir die Vorstellung von Homosexualität formulieren, so meinen wir nicht die formale halachische Definition einer Geisteskrankheit im Sinne von geistlicher Inkompetenz, wie in TB Hag. 3b, 4a und anderswo beschrieben. Außerdem ist die Kategorisierung einer verbotenen sexuellen Handlung als einer solchen (unter Zwang) wegen unkontrollierter Leidenschaften ist im technischen halachischen Sinn nur für eine verheiratete Frau gültig, die sexuell missbraucht wurde und die während der sexuellen Handlung anfing, bereitwillig mitzumachen. Die Halacha entscheidet mit Rava, gegen den Vater von Samuel, dass ihre Zustimmung wegen der Leidenschaften, die in ihr erweckt wurden erzwungen war (Ket, 51b). Das gilt aber nur, wenn die Handlung zunächst mit körperlichem Zwang begonnen wurde (Kesef Mishneh to Yad, Sanh. 20:3).
Darüber hinaus gilt die Behauptung eines Zwangs wegen der eigenen erotischen Leidenschaften nicht für einen Mann, da jegliche Erektion ein Zeichen seiner Bereitschaft ist (Yev, 53b; Maimonides, Yad, Sanh, 20:3). Im Falle eines Mannes, der zum Beischlaf mit einer Frau gezwungen wurde, die für ihn verboten war, so betrachten ihn einige Gelehrte als schuldig und er soll deshalb bestraft werden, während ihn andere zwar als schuldig ansehen, jedoch nicht der Bestrafung durch die Gerichte unterworfen (Tos., Yev, 53b; Hinnukh, 556; Kesef Mishneh, loc. cit.: Maggid Mishneh to Issurei Bi´ah, 1:9). Wo ein Mann in einer zulässigen Art und Weise sexuell erregt ist, um den Beischlaf mit seiner Frau zu vollziehen, und dann gezwungen ist, die Handlung mit einer anderen Frau abzuschließen, entlasten ihn die meisten Gelehrten (Rabad and Maggid Mishned, to Issurei Bi´ah, in loc). Wenn nun aber der verzerrte Familienhintergrund des wahren Homosexuellen mit in die Betrachtung einbezogen wird, so kann die homosexuelle Handlung möglicherweise Anspruch auf eine Strafmilderung durch die Halacha erheben. (Beachte jedoch, dass Minhat Hinnukh, 556, Ende; und M. Feinstein, Iggerot Moshe (1973) on YD, no. 59 in einem anderen Zusammenhang feststellen, dass jegliches Vergnügen, das an einer verbotenen Handlung unter Zwang empfunden wird, das Niveau des Verbots anhebt. Dies wurde vorhergesehen von R. Joseph Engel, Atvan de-Oraita, 24). Diese späteren Quellen weisen auf die Schwierigkeit hin, sexuelle Straftäter aus psycho-pathologischen Gründen unter den technischen Regelnd der Halacha zu entschulden.
Jedoch sind in der Abwesenheit eines Sanhedrins und aufgrund der Tatsache, dass es unmöglich ist, das ganze halachische Strafsystem (einschließlich der Todesstrafe) einzuführen, solche strengen Anwendungen unnötig. Was wir versuchen, ist Richtlinien zu entwickeln, basierend auf der Halacha, die es heutigen Juden erlauben werden, eine Orientierung hinsichtlich der gegenwärtigen Probleme der Homosexualität zu finden – und zwar in einer Art und Weise, die sich mit den grundlegendsten Einsichten der Halacha in einem allgemeinen Sinn ausdrückt und in Übereinstimmung mit der weitest gefassten Perspektive auf die Welt, die die Ergebenheit der Halacha gegenüber ihren Anhängern einträufelt. Und so ist die Behauptung der Prediger, dass „niemand sündigt außer dass er von einem Geist des Wahnsinns überwältigt wird“ (Sot. 3a) , keine operative halachische Regel, sondern bietet eine Orientierung an hinsichtlich eines öffentlichen Regelwerks und individuellem pastoralem Mitleid. So gelten heutzutage im aktuellen Fall die formellen halachischen Einschränkungen keinesfalls und es ist unser Argument, dass das Prinzip der Prediger uns dazu führen muss, die strafmildernden halachischen Elemente herauszufinden, um uns so dabei anzuleiten, unsere Orientierung gegenüber Homosexuellen zu finden, die – vom Standard der modernen Psychologie her gesehen – als unter Zwang handelnd zu betrachten sind.
Die Halacha in diesem Fall streng anzuwenden, ist offensichtlich unmöglich; sie völlig zu ignorieren ist nicht erstrebenswert und würde darauf hinauslaufen, die Halacha als ein rein abstraktes, legalistisches System anzusehen, das verworfen werden kann, wo seine Normen und Vorschriften keine formelle Anwendung erlauben. Zugegebenermaßen ist die Methode nicht rigoros und sie lässt genügend Raum für unterschiedliche Interpretationen wie für exegetischen Missbrauch, aber es ist nun mal das Beste, was wir tun können.
Deshalb gibt es Arten von Homosexualität, die keine besondere Beachtung rechtfertigen, weil etwa Zwang (d.h. Krankheit) keinesfalls zutrifft. Wo die Kategorie der psychischen Erkrankung tatsächlich anwendbar ist, bleibt die Handlung an sich to‘evah (ein Gräuel), die Tatsache der Krankheit jedoch verpflichtet uns zum pastoralen Mitgefühl, psychologischen Verständnis und sozialer Sympathie. In diesem Sinn ist Homosexualität nicht anders als irgendeine andere soziale oder anti-halachische Handlung, bei der es legitim ist, zu unterscheiden zwischen dem Ziel selbst einschließlich seiner sozialen und moralischen Konsequenzen und die Mentalität und innere Entwicklung der Person, die die Handlung ausführt. Wenn ein Mann zum Beispiel in einer kaltblütigen und berechnenden Weise aus Geldgier einen Mord begeht, so ist die Handlung kriminell und der Gesetzesbrecher ist ebenso kriminell. Wenn aber ein Psychotiker mordet, so ist der Gesetzesbrecher eher als krank denn als kriminell zu betrachten, die objektive Handlung selbst aber bleibt kriminell. Die Gerichte dürften den Verbrecher deshalb eher wie einen Patienten behandeln, mit all dem damit einhergehenden Mitgefühl und der Sorge um eine Therapie, ohne damit jedoch anzunehmen, dass die Handlung moralisch neutral ist. Um halachische Terminologie zu benutzen: das objektive Verbrechen bleibt eine ma’aseh averah, wohingegen die Person, die das Gesetz überschreitet, als unschuldig betrachtet wird. In einem solchen Fall bleibt dem Gesetzesbrecher die volle juristische Konsequenz seines schuldhaften Handelns erspart, wenn auch der Grad, bis zu dem er als schuldig behandelt wird, von Fall zu Fall anders sein wird.
Ein Beispiel einer kriminellen Handlung, die von der Halacha mit Mitleid behandelt wird und wo sie in der Praxis die Tat eher pathologisch als kriminell sieht, ist der Suizid. Technisch gesehen verstoßt der tatsächliche oder versuchte Suizid gegen das Gesetz. Die Halacha verweigert dem durch einen Suizid gestorbenen die Ehre einer Grabrede, weiterhin das Übergeben der Kleidung durch die Verwandten oder Zeugen des Toten und sie besteht (gemäß Maimonides) darauf, dass die Verwandten nicht die gewöhnliche Trauerzeit für den Suizidierten beachten müssen. Im Laufe der Zeit neigte man jedoch dazu, auf der Grundlage einer seelischen Krankheit das Stigma des Suizids zu entfernen. So wenden Gelehrte nicht die technische Kategorie des beabsichtigten (la-da‘at) Suizids auf jemanden an, der nicht klar vor der Ausführung der Tat gezeigt hat, dass er wusste, was er tat und von gesundem Verstand war, bis hin zu dem Punkt, an dem es keine Zeitspanne zwischen der selbstzerstörerischen Tat und dem tatsächlichen Tod gab. Wenn diese Bedingungen nicht vorhanden sind, nehmen wir an, dass es die Tat eines psychisch Kranken war oder dass er zwischen der Tat und dem Tod Momente des Bedauerns hatte und deshalb die Tat bereut hatte und damit vor dem Gesetz entschuldigt ist. Es gibt sogar eine Meinung, die den Selbstmörder entlastet, sofern er keine angemessene Warnung (hatra’ah) vor Ausführung der Tat erhielt und in einer Art und Weise handelte, die erkennen ließ, dass er sich voll bewusst war, was er da tat und bei vollem Verstand (J.M Tykocinski, Gesher ha-Hayyim, I, ch. 25, and Encyclopaedia Judaica, 15:490).
Zugegebenermaßen gibt es Unterschiede zwischen den beiden Fällen: Päderastie ist eindeutig eine ernsthafte Verletzung des biblischen Gesetzes, wohingegen die Einschränkung gegenüber dem Suizid exegetisch von einem Vers in Genesis abgeleitet wurde. Nichtsdestotrotz ist das grundlegende Recht des einen auch beim anderen anwendbar: wo man eine Handlung auf eine Geisteskrankheit zurückführen kann, wird dies ganz einfach aus humanitären Gesichtspunkten heraus getan.
Die Analogie des Suizids sollte einen natürlich nicht dazu führen, daraus zu schließen, dass es Grund für eine Blanko-Entschuldigung von Homosexualität als eine Geisteskrankheit gibt. Nicht alle Formen der Homosexualität können so bestimmt werden wie oben angegeben und die Handlung selbst bleibt ein „Gräuel“. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, schlagen die meisten Menschen für gewöhnlich nicht vor, dass der Suizid als akzeptable und legitime Alternative zu den Härten des täglichen Lebens gesehen werden sollte. Keine gesunde und moralische Person sitzt passiv da und sieht zu, wie ein anderer Mensch Suizid begeht weil er ihn „versteht“ und weil entschieden wurde, dass der Suizid eine „moralisch neutrale“ Handlung ist. Auf Basis desselben Merkmals und indem wir uns auf verschiedene Typen von Homosexuellen hin orientieren – als Patienten anstatt als Kriminelle, stimmen wir der Handlung nicht zu, sondern versuchen, dem Homosexuellen zu helfen. Unter keinen Umständen kann das Judentum Homosexualität erdulden, um angesehener zu werden. Würde die Gesellschaft ihre offene oder auch schweigende Zustimmung hinsichtlich der Homosexualität geben, würde sie die Tür für mehr Aggressivität durch erwachsene Päderasten jungen Menschen gegenüber öffnen. In der gegenwärtig zustimmenden Haltung würde uns die jüdische Sichtweise zur mutigen Beurteilung der Homosexualität nicht etwa als „Abirrung“ mit der Implikation moralischer Neutralität und tolerierender Eigentümlichkeit auffordern, sondern als „Perversion“ - ein weniger klinisches und vielmehr altmodisches Wort, das vielleicht eher dem biblischen „Gräuel“ entspricht.
Dennoch – nachdem wir dieses moralische Urteil gefällt haben, können wir im Namen des Judentums nicht notwendigerweise verlangen, dass wir nach der härtest möglichen Bestrafung trachten. Selbst wenn es nach der Halacha möglich war, die Todesstrafe auszuführen, sind wir traditionell doch eher zur Milde geneigt. So haben R. Akiva und R. Tarfon erklärt, dass sie, wenn sie während der Zeit der Sanhedrin gelebt hätten, niemals einen Menschen exekutiert hätten. Obwohl die Halacha nicht zu ihren Gunsten entschied (Mak., end of ch. I), war es äußerst selten, dass die Todesstrafe angewandt wurde. Für gewöhnlich wurde die von der Bibel vorgesehene Strafe als ein Richtungsweiser für die Schwere der Gesetzesübertretung gesehen und die eigentliche Exekution wurde durch ein strenges Bestehen auf allen technischen Gegebenheiten vermieden – wie etwa die hatra’ah (das Vorwarnen des potentiellen Kriminellen) – und das rigorose Kreuzverhör von Zeugen usw. Im selben Geist müssen wir nicht für das strengste Vorgehen gegenüber zeitgenössischen Gesetzesübertretern stimmen. Wir sind aufgefordert, ihnen wieder auf die Beine zu helfen (teshuva). Die Halacha sieht keinen Widerspruch zwischen der Verurteilung eines Menschen zum Tode und der Ausübung von Mitleid, ja sogar Liebe ihm gegenüber (Sanh. 52a). Sogar ein Mensch, der auf dem Weg zu seiner Exekution war, wurde ermutigt, zu bereuen (Sanh. 6:2). In Abwesenheit der Todesstrafe wird die Tradition der teshuva und des pastoralen Mitleids dem Sünder gegenüber fortgesetzt.
Ich finde in der jüdischen Tradition keine Rechtfertigung dafür, dass man auf Gefängnisstrafen für Homosexuelle besteht. Das Aussondern von Homosexuellen als Opfer der gerechten Entrüstung der Gesellschaft ist offenkundig ungerecht. In der Geschichte des Westens zeichneten sich gegen Homosexuelle gerichtete Kreuzzüge nur allzu oft durch Grausamkeit, Zerstörung und Engstirnigkeit aus. Haftstrafen wurden in der modernen Zeit äußerst willkürlich verhängt. Die Zahl der Homosexuellen, die das Pech hatten, verhaftet zu werden ist äußerst gering verglichen mit der Zahl der bekannten Homosexuellen – Schätzungen gehen von 1:300.000 bis zu 1:6.000.000! Homosexuelle für eine besondere Bestrafung auszusondern während sich der ganze Rest der Gesellschaft in jeglicher Form sexuellen Vergehens (gemäß den Gesetzen der Halacha und nicht der Neuen Moralität) ergeht, ist eine Art von Doppelmoral, die die Halacha nicht dulden kann. So erklärt die Mischna, dass die „Schriftrolle der verdächtigen Ehebrecherin“ (megillat sotah) – womit eine des Ehebruchs verdächtige Ehefrau sich dem Test des „bitteren Wassers“ unterziehen musste – für null und nichtig erklärt wurde, als sich die Gelehrten der noch größeren Zahl im allgemeinen bewusst wurden (Sot. 9:9). Der Talmud rechtfertigt diese Entscheidung mit einer Abneigung gegen die Doppelmoral allgemein: Wenn der Ehemann selbst ein Ehebrecher ist, hat das „bittere Wasser“ keine Auswirkungen auf seine Ehefrau, obwohl sie ebenfalls des Vergehens schuldig war (Sot. 47b). Eine Gesellschaft, in der heterosexuelle Unmoral nicht offensichtlich fehlt, hat aus demselben Grund kein moralisches Recht, ein hartes Urteil zu fällen und harte Strafen für Homosexuelle zu verhängen.
Einen Homosexuellen ins Gefängnis zu schicken ist außerdem konter-produktiv, sofern die Bestrafung irgendein Element der Rehabilitation oder teshuva enthalten soll. Es wurde richtigerweise damit verglichen, einen Alkoholiker in die Destillerie zu schicken. Der Talmud verzeichnet, dass der Sanhedrin nicht bereit war, das volle Ausmaß des Gesetzes anzuwenden wo die Bestrafung ihre abschreckende Qualität verloren hatte. So verließ der Sanhedrin 40 (oder vier) Jahre vor der Zerstörung des Tempels freiwillig den Tempelbezirk, um technisch nicht in der Lage zu sein, die Todesstrafe zu verhängen, weil eine erhöhte Mordrate festgestellt wurde (Sanh. 41a, und anderswo).
Es gibt nichts im Wort oder Geist des jüdischen Gesetzes, das uns dazu führen sollte, die Inhaftierung von Homosexuellen zu befürworten. Die Halacha hat im Großen und Ganzen die Leugnung der Freiheit als eine empfohlene Strafe nicht ermutigt. Auspeitschen ist von einer bestimmten Perspektive aus weit weniger grausam und weitaus mehr aufgeklärt. Da die Todesstrafe außer Frage ist und da die Inhaftierung kein empfehlenswerter Ersatz ist, bleibt uns nur ein absolutes Minimum: Starke Verurteilung der verbotenen Handlung. Wir sind aber nicht an irgendein spezifisches Instrument der Strafe gebunden, das seine Grundlage nicht im jüdischen Gesetz oder der jüdischen Tradition hat.
Wie kann diese Verurteilung ausgedrückt werden? Es wurde vorgeschlagen, dass es sich die Gesellschaft leisten kann, menschlich zu sein, da Homosexualität ja sowieso nie anerkannt werden wird. Solange wie Gewalt oder das Verführen von Kindern nicht anzutreffen sind, wäre es am Besten, alle Gesetze hinsichtlich der Homosexualität fallen zu lassen und es den unvermeidbaren sozialen Sanktionen zu überlassen, in informeller Art und Weise zu kontrollieren, was kontrolliert werden kann.
Dieser Prozess jedoch stimmt nicht mit der jüdischen Tradition überein. Die Aufhebung anti-homosexueller Gesetze beinhaltet das Entfernen des Stigmas der Homosexualität und diese Abschwächung sozialer Zensur schwächt auch die Gesellschaft, wenn es darum geht, die Jugend zu annehmbaren Verhaltensmustern zu erziehen. Das Fehlen eines geeigneten sozialen Tadels kann auch den Ausdruck homosexueller Neigungen durch die ermutigen, in denen sie normalerweise unterdrückt worden wären. Das Gesetz selbst hat eine erzieherische Funktion und der Widerruf von Gesetzen – unabhängig davon, wie sehr man diesen Widerruf von einem bestimmten Standpunkt aus rechtfertigen könnte - hat schon auch die Wirkung, die Akzeptanz einer größeren Toleranz zu signalisieren.
Einige neue Vorschläge
Vielleicht kann all das, was bisher gesagt wurde, am besten in den folgenden Vorschlägen ausgedrückt werden.
Zunächst müssen Gesellschaft und Regierung die Unterschiede in den verschiedenen Kategorien, die früher in diesem Aufsatz aufgezählt wurden, anerkennen. Wir müssen denen medizinischen und psychologischen Beistand anbieten, deren Homosexualität ein Ausdruck von Krankheit ist, die das auch so anerkennen und bereit sind, Hilfe zu suchen. Wir dürfen dem Homosexuellen gegenüber nicht weniger großzügig sein als gegenüber dem Drogenabhängigen, dem die Regierung auf Anfrage hin verschiedene Therapieformen anbietet.
Zweitens müssen Haftstrafen für alle Homosexuellen abgeschafft werden – außer für die, die sich hinsichtlich Gewalt, Verführung Minderjähriger oder öffentlichen Ansprechens von Männern als Prostituierte schuldig gemacht haben.
Drittens müssen die Gesetze bestehen bleiben, aber durch gegenseitige Übereinstimmung von Justiz und Polizei nicht erzwungen werden. Das kommt dem nahe, was Rechtsanwälte den „abkühlenden Effekt“ nennen und es ist der so gut bekannten Kategorie der Halacha am nächst möglichsten, durch die eine starke Ablehnung dadurch ausgedrückt wird, dass man ein halachisches Verbot ausspricht, jedoch keine Bestrafung hierfür vorsieht. Es ist eine Kategorie, die den Graben zwischen Moral und Gesetz schließt. In einer Gesellschaft, in der Homosexualität so weit verbreitet ist und in der Inhaftierung so wenig Positives bewirkt, kann die mahnende Annäherung ein Weg sein, die Abneigung der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen und trotzdem die Tücken unseres akzeptierten Strafrechts zu vermeiden.
Für die jüdische Gemeinschaft als solche mögen dieselben Prinzipien, die von der Tradition abgeleitet wurden, als Richtlinien dienen. Das Judentum erlaubt keinen Kompromiss, wenn es um seine Verachtung von Homosexualität geht, aber es ermutigt sowohl Mitleid als auch Bestrebungen zur Rehabilitation. Sicher darf es keine Akzeptanz von getrennten jüdischen homosexuellen Gruppierungen geben, so etwa – oder ganz besonders – Synagogen, die zu homosexuellen Gemeinden umfunktioniert wurden. Die erste „schwule Synagoge“ war offensichtlich das "Beth Chayim Chadashim" in Los Angeles. Ins Leben gerufen 1972 von der Metropolitan Community Church dieser Stadt, konstituierte sich die Gründungs-Gruppe mit Hilfe des Pacific Southwest Council der Vereinigung der Amerikanischen Hebräischen Kongregationen irgendwann Anfang 1973 als eine reformierte Gemeinde. Anschließend tauchten ähnliche Gruppierungen in New York und anderswo auf. Die ursprüngliche Gruppe trifft sich an Freitag Abenden im Leo Baeck Tempel und sucht gerade einen rabbi - der selbst „schwul“ sein muss. Die Mitglieder sehen sich selbst gerechtfertigt durch „die Philosophie des Reform-Judentums“. Der Präsident desTempels erklärte, dass Gott mehr darum besorgt ist, dass wir zu einem Gefühl des Friedens finden, von dem aus wir eine bessere Welt gestalten, als dass es Ihn interessiert, mit wem jemand schläft.“ (zitiert in "Judaism and Homosexuality" C.C.A.R. Journal, Sommer 1973, S. 38; fünf Artikel in dieser Ausgabe des rabbinischen Magazins der reformierten Gruppe sind demselben Thema gewidmet und die meisten davon befürworten die Schwule Synagoge).
Solcher Überlegungen sind aber doch zumindest sehr speziell. Gewöhnliche Kongregationen und andere jüdische Gruppierungen sollten nicht zögern und den „sichtbaren“ Homosexuellen, die zu der Kategorie der Kranken zählen, Gastfreundschaft und Mitgliedschaft auf individueller Basis gewähren. Homosexuelle verletzen jüdische Normen nicht weniger als Sabbatschänder oder diejenigen, die die Gesetze der Kaschrut verletzen. Der Organisation von getrennten „schwulen“ Gruppen unter jüdischer Schirmherrschaft zuzustimmen, macht auch nicht mehr Sinn, als die Errichtung von Synagogen zu ertragen, die sich ausschließlich um Götzendiener, Ehebrecher, Schwätzer, Steuerbetrüger oder Sabbatschänder kümmern. Tatsächlich macht es weniger Sinn, weil es unter religiöser Schirmherrschaft für ein vorgefertigtes Klientel sorgt, aus dem der Homosexuelle leichter seine Partner auswählen kann.
Treu den Quellen der jüdischen Tradition sind Juden gerufen, den Wahnsinn zu vermeiden, der die Gesellschaft zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Formen ergreift, wobei sie gleichzeitig eine moralische Gelassenheit und psychologische Ausgeglichenheit behalten sollen, die ausreichen, um die Kombination von Disziplin und Wohltätigkeit auszuüben, die das Kennzeichen des Judentums sind.
Quelle: Norman Lamm, “Judaism and the Modern Attitude to Homosexuality” in Encyclopedia Judaica Yearbook 1974 (194-205). Jerusalem: Keter.
Siehe auch:
"A Torah View on Homosexuality" by Rabbi Aharon Feldman
"Homosexuality in Orthodox Judaism" by Rabbi Dr. Nachum Amsel